Das Meer in deinen Augen
noch ein paar ähnliche Posts. Sie hätte es besser lassen sollen. Aber sie schloss das Fenster noch nicht, sondern wechselte wieder auf die Startseite.
Das Schicksal ist so ungerecht. R.I.P. Das gefiel 52 Personen. Emma gab in die Suchleiste seinen Namen ein. Ein Profil fand sie nicht. Dafür eine Seite: Luka Klose – Ruhe in Frieden. 923 Personen gefällt das, stand darunter. Emma ließ es erstaunlich kalt. Sie schluckte nur einmal. Dann schloss sie das Fenster wieder und wollte den Browser verlassen. Der Cursor war schon über dem Kreuz, als sie es sich doch anders überlegte und diesmal Ben … eingab. Sofort erschien sein Name und ein Foto. Die Profilseite öffnete sich. Das Foto war alt. Benjamin lachte. Er trug eine Sonnenbrille und hielt eine Flasche Champagner in der Hand. Auch auf seiner Pinnwand häuften sich Beileidsbekundungen: Alter, scheiße, was da passiert ist. Meld dich, wenn du wen zum Reden brauchst. Er war immer ein super Typ. Erinner mich noch gut, wie wir in Berlin unterwegs waren . Benjamin selbst hatte seit Wochen nichts verändert. Das Lachen schien eingefroren.
Emma ließ die Seite geöffnet und starrte einfach nur auf den Bildschirm. Das Handy vibrierte leise. Den Ton hatte sie ausgeschaltet. Erst nach einer Weile schaute sie auf das Display. Ihr Chef. Sie sollte besser annehmen.
»Emma?«
»Ja?«
»Du hast dich lange nicht gemeldet. Bist du immer noch krank?« Sie hatte einen üblen Magen-Darm-Infekt als Entschuldigung für ihr Fehlen vorgeschoben. Spätestens jetzt merkte sie, dass ihn ihre Gesundheit nicht wirklich interessierte. Sicher brauchte er dringend eine Aushilfe. In den Ferien waren schließlich die meisten im Urlaub.
»Es geht wieder.«
»Gut, dann kannst du jetzt gleich wieder anfangen.«
»Okay.« Emma dachte nicht daran, zu widersprechen. Rasch packte sie ihre Tasche und klopfte bei ihrer Mutter. »Ich bin weg.«
»Wohin?«
»Arbeit«, erklärte sie knapp und verschwand durch die Tür. Im Treppenhaus beeilte sie sich nicht, obwohl sie draußen schon die Straßenbahn poltern hörte. Sie konnte genauso gut die nächste nehmen oder zu Fuß gehen, auch wenn sie sich Ärger wegen der Verspätung würde anhören müssen. Es war ihr gleichgültig.
Es herrschte hektischer Betrieb in dem Einkaufszentrum. Mädchen drängten sich mit ihren prallen Einkaufstüten an den Familien vorbei, die sich Eis in der Waffel gekauft hatten und aufpassen mussten, es nicht fallen zu lassen. »Hey, Emma.« Sie wandte sich um. Die Kaffeebohnen mussten aufgefüllt werden. Vor ihr stand Melina. Sie lächelte breit hinter ihrer Brille.
»Hey, Melina.« Sie bemühte sich, genauso fröhlich zu klingen.
»Machst du mir einen Saft?«
»Klar.« Emma füllte die Bohnen nach und stellte ein Glas unter die Saftpresse.
»Wie sind deine Ferien?«, fragte Melina irgendwann nach und errötete gleich. Sie merkte wohl, dass das die falsche Frage war.
»Ganz okay.«
»Ich … ich hab dir bei Facebook geschrieben.«
»Hab ich gesehen«, entgegnete Emma knapp und stellte den Orangensaft auf die Theke. Sie wollte nichts mehr von diesem beschissenen Mitleid. »Drei Euro, bitte.«
Melina holte erst jetzt ihr Portemonnaie aus der Tasche. Wahrscheinlich hatte sie nur etwas bestellt, um sie anzusprechen. Vielleicht dachte sie tatsächlich, sie würden jetzt Freunde werden. Nicht nur bei Facebook. Emma zwang sich noch einmal zu einem Lächeln. »Wir sehen uns in der Schule, Emma.« Dann wurde sie von dem nächsten Kunden weggedrängt. Der Banker, der an dem Tag bestellt hatte, als sie Luka das letzte Mal gesehen hatte. »Zweimal Latte zum Mitnehmen.« Emma fragte nicht nach, stellte zwei große Becher unter die Maschine und drückte auf Grande .
Ihre Hände zitterten leicht, als sie die Bestellung vor dem Mann abstellte. »Sieben Euro.« Diesmal lächelte sie nicht. Der Mann drückte ihr einen Fünfziger in die Hand. Kleinere Scheine hatte er wohl nicht. Wieder öffnete Emma die Kasse. Inzwischen holten sie die Gedanken ein. Es war genau wie damals. Der gleiche Kunde. Die gleiche Bestellung. Das gleiche Wechselgeld. Zwei Zwanziger, zwei Euro, ein Euro. Sie sah hinunter auf ihre Finger und schloss sie um die Münzen zu einer Faust, öffnete sie gleich wieder und spürte, dass sie immer noch zitterte. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich selbst. Was, wenn heute gar nicht heute war? Wenn es der gleiche Tag war, wenn er jeden Moment vor ihr stehen, sie mitnehmen würde. Sie gab das Wechselgeld raus und
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