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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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außer Sichtweite eine Ladung Gestein herunter. Das ganze Wochenende war der Bagger beschäftigt gewesen, rumpelte und krachte, hinterließ hässliche breite
Kettenspuren im feuchten Sand und den Geruch von Diesel in der Luft, über den sich niemand beschwerte. Der Fahrer bekam von Elisabeth eine Thermoskanne Kaffee in die Kabine gereicht und eine Plastikdose mit Schokokeksen dazu.
    Der Schutz der Küste, das hatte ich abends in der Kajüte gelernt, ist eine Frage des Überlebens für die Anwohner.
    Â»Vor uns die Ostsee, hinter uns der große Binnensee, und eines Tages öffnet das Meer sein Maul und tut einen Riesenschluck.«
    Â»Mach dem Kind keine Angst!«, hatte Bascha gesagt und auf mich gezeigt. »Ist nicht Bermuda-Dreieck hier!«
    Â»Wir werfen ihm so viele Steine in den Weg, wie wir können.« Ruth hatte entschlossen ausgesehen, als brächte sie das mit ihren knapp eins sechzig eigenhändig fertig.
    Â»Wie werft ihr dem Meer denn Steine in den Weg?«, hatte »das Kind« gefragt, weil es auf dramatische Sturmgeschichten hoffte.
    Â»Was glaubst du, wo das ganze Geröll, das hier herumliegt, herkommt? Angeschwommen? Und wenn ich sage ›Steine‹ dann meine ich S-T-E-I-N-E, in Großbuchstaben!« Sie breitete die Arme weit aus.
    Ich lachte. Elisabeth sah zu uns herüber, holte tief Luft und sagte: »Manchmal, wenn der Wind auf Nord-Nordost dreht und zum Sturm, zum Orkan wird und wenn das Wasser richtig steigt, dann werden die Wellen meterhoch. Sie donnern an die Küste wie die Pranken eines Raubtiers, das Stücke aus der Beute herausreißt. Im Haus kannst du die Wucht spüren, das ganze Gebäude bebt und zittert, ächzt und stöhnt.«
    Bascha wollte etwas einwerfen, aber Ruth hielt sie mit einer Handbewegung davon ab und gab Elisabeth ein Zeichen, dass sie weitersprechen solle.

    Â»â€ºVoll ausgereifter Seegang‹ steht dann in der Zeitung, aber für uns bedeutet es, dass die See unsere Existenz bedroht. Sie greift uns an! Das ist weder romantisch noch vergnüglich, glaub mir.«
    Â»Eine entfesselte Bestie«, sagte Heinrich, und Elisabeth fuhr fort: »Wir müssen unser Land für solche Tage vorbereiten, das Haus schützen und damit uns selbst. Tun wir das nicht, unterspült das Wasser die Fundamente, es reißt den Boden fort und nimmt uns alles. Deshalb lassen wir regelmäßig die Steinpackung kontrollieren und neu setzen, versenken Unsummen ins Heranschaffen vieler Tonnen Gesteins, mit denen wir die Küste festigen, Überflutungen eindämmen und Durchbrüche verhindern, damit es uns nicht versenkt. Wir haben beschlossen hierzubleiben, also wird das Land gehalten. Um jeden Preis.«
    Â»Das können schon mal zehntausend Euro nach einer einzigen Sturmnacht sein«, sagte Heinrich, und Ruth nickte unwirsch.
    Â»Eben. Jetzt weißt du, warum uns die Steine so wichtig sind«, sagte sie, »dieser Tage sind wieder mehrere Ladungen fällig.«
    Heinrich fing an, über Form und Struktur der diversen Küstenschutzbauten zu dozieren, Bascha erzählte von abgerissenen Fensterläden, Sergej hatte etwas aus Russland beizutragen, alle redeten durcheinander.
    Â»Wer nicht deichen will, muss weichen, den Satz merk dir, Kindchen«, fasste Ruth das Stimmengewirr aus Belehrungen, Unwetterberichten und Naturkundeunterricht zusammen.
    Mit Ende neunundzwanzig war ich wieder »das Kind«, »die Kleine«, »das Mädchen« geworden. Das klang entschieden warmherziger als »die Junge«, und anfangs war es mir nicht unangenehm, weil es mich aus einer Verantwortung nahm, die
ich mir allzu gern nehmen ließ: »Kleine« und »Kinder« waren an nichts schuld, Kleinsein war Absolution.
    Vielleicht fühlte ich mich deswegen wohl bei ihnen. Anfangs.
    Bald ging mir die Entmündigung meiner Person dann aber doch auf die Nerven. Ruth nannte das später einmal meinen »ersten Anstoß zum inneren Fortschritt«.
    Ich tat so, als hätte ich keine Ahnung, was sie damit meinte.
    Wenn Ruth im übellaunigen Zustand allerdings den Eindruck hatte, dass ich mich »durch Jugend« hervorzutun versuchte, was mit knapp dreißig ja auch relativ war, konnte der Satz »Lass mich es mal versuchen« unter Umständen schon reichen, eine Suada loszutreten.
    Â»Um uns in irgendeiner Weise überlegen zu sein, musst du mehr aufbieten, Fräuleinchen. Gegen die vier

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