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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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Jahrzehnte, die du uns an Jugend voraushast, halten wir lässig die gleiche Jahreszahl an Erfahrung. Da geht die Waagschale bei uns runter: Grips plus Lebenspraxis, das ist eine unschlagbare Kombination!«
    Â»Das ist unfair, Tante! Und nenn mich nicht ›Fräuleinchen‹!«
    Wir waren durchaus talentiert, uns in so etwas reinzusteigern.
    Das führte, je nach Ruths Form, zum Knall einer Tür und vorläufiger Funkstille oder bei hellerer Großwetterlage zu Spott über meine bisherige Lebensweise, die, so Ruths Meinung, wenn sie sich über mich geärgert hatte, nicht gerade als Ausweis meiner Reife herhalten könne.
    Â»Da hast du, selbst in Hinblick auf deine Altersgenossen, einiges aufzuholen, Schätzchen!«
    Tante Ruth konnte ganz schön eklig werden.
    Â»Wenn die Blinden mehr sehen als der Einäugige, wird es nichts mit dem Königtum!«

    Sobald sie anfing, die Sprüche zu ihren Gunsten umzudichten, gab ich meistens auf oder nach, was von vornherein klüger gewesen wäre, und ließ sie reden, mir meiner grundsätzlichen rhetorischen Unterlegenheit bewusst.
    Doch ab und zu, wenn ich mich kräftig genug fühlte, konnte ich nicht anders und setzte noch eins drauf: »Ist ja schon gut, Tantchen, Aufregung schadet dir nur, beruhige dich!«
    Wohl wissend, dass ein bestimmter, betulicher Tonfall sie senkrecht auf die Palme bringen würde.
    Â»Red nicht mit mir wie mit einer bescheuerten Hundertjährigen!« , brüllte sie.
    Â»Red du nicht mit mir wie mit einem minderbemittelten Kindergartenkind!«, brüllte ich zurück.
    Und Elisabeth sagte: »Wie ähnlich ihr euch doch seid!«
    Wir exerzierten das mehrfach durch, wobei ich Ruth zugutehalten muss, dass sie in der Lage war, an dieser Stelle loszulachen, ihre Hand auf meine Schulter zu legen und zu sagen: »Ich mag nicht mit dir streiten, Nichte.«
    An anderen Tagen allerdings konnte ich mir auch Sätze dieser Qualität anhören: »Wenn du Wert darauf legst, wie ein erwachsener Mensch behandelt zu werden, dann benimm dich entsprechend!«
    Was meinerseits zu Türenschlagen und einsam-wütenden Wanderungen Richtung Halsung führte, begleitet von dem Schwur, am nächsten Morgen abzureisen, diesmal endgültig.
    Aber womöglich lag abends im Schwalbennest eine Tafel Schokolade oder ein Buch oder beides auf dem Kopfkissen, und beim nächsten Frühstück war die Welt wieder in Ordnung.
    Â»Gut geschlafen, meine Liebe?«
    Â»Ja, danke, hervorragend.«
    Elisabeth hörte ich zu Bascha in der Küche sagen: »Man
möchte nicht meinen, dass die zwei sich erst seit dem Frühjahr kennen.«
    Â 
    Nach drei Wochen im Palau hatte ich die Strandkörbe sommerschön geschrubbt, den Rasen auf Idealmaß getrimmt, unter Baschas Anleitung einige Zimmer hergerichtet, die ersten Lektionen über den Betrieb eines kleinen Hotels gelernt. Das Wort »Crashkurs« verbot Ruth mir ausdrücklich mit der Ermahnung, an meiner durch Amerikanismen »versauten« Sprache zu arbeiten. Dennoch hielt sie mich für fähig, einfache Gästeanfragen zu erledigen, ohne ihre heilige Ordnung in der Kartei durcheinanderzubringen.
    Für jeden Gast, der seit 1973 im Palau genächtigt hatte, gab es eine eigene Karte, auf der neben Geburtstag, Heimatadresse, Beruf und Aufenthaltsdauer auch Essensgewohnheiten oder Unverträglichkeiten, Lektürevorlieben, Charaktereigenschaften, Kleidungsstil, Automarke oder besondere Begebenheiten notiert wurden, je nachdem, was Ruth für wert hielt, aufgeschrieben zu werden. Bei manchem Gast waren mehrere Karteikarten aneinandergeheftet, beidseitig mit Ruths winziger Handschrift bedeckt. Elisabeth zeigte sich erstaunt, als ich bei einem Mittagessen erzählte, wie ich mit Ruth die Kartei angesehen hätte: »Sie hat dich reinschauen lassen?«
    Â»Ja, keine Sorge, ich bin ein verschlossenes Grab.«
    Ich hielt mir den Zeigefinger an den Mund, aber Elisabeth war nicht nach Scherzen: »Bisher war das nicht üblich.«
    Ich hätte es mir denken können, aber Ruth hatte so getan, als wäre es das Normalste von der Welt, dass sie mir die Karten zeigte.
    Einige hatten Zeichen in der oberen rechten Ecke.
    Â»Was bedeutet ein schwarzer Punkt?«

    Â»Der Gast ist verstorben.«
    Â»Soll ich die entsprechenden Karten aus der Kartei nehmen?«
    Â»Nein, warum?«
    Â»Mit denen ist doch nicht mehr zu rechnen, ich

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