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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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meine: Sie werden kaum anrufen und nach einer Buchung verlangen.«
    Ruth wurde ärgerlich. »Mit dem Löschen seid ihr Jungen schnell, aus den Augen, aus dem Sinn, keine Geschäfte mehr mit zu machen, also vergessen, weg damit!« Sie verließ das Büro.
    Zehn Minuten später kam sie wieder, setzte sich an die Schreibmaschine und hackte in die Tasten, als wolle sie das Farbband durchlöchern.
    Â»Tut mir leid, Tante, es war nicht böse gemeint. Du sortierst niemanden aus, der einmal dein Gast gewesen ist, das ehrt dich.«
    Â»Quatsch: Nix ehrt mich! Wir heben sie alle auf, weißt du, zum Erinnern. Nichts Besonderes.«
    Ich nickte.
    Â»Oder wenn wir eine Statistik brauchen sollten.«
    Ich nickte wieder: »Ja, das ist praktisch.«
    Â»Machst du dich über mich lustig?«
    Â»Würde ich nie wagen!«
    Â»Dann ist’s ja gut.«
    Der Anschlag wurde weicher.
    Â»Füllst du für mich auch eine Karte aus, Tante?«
    Â»Du bist kein Gast.«
    Â 
    Ich gewöhnte mir an, die Karteikarten zu lesen, wenn ich Telefondienst hatte, setzte mich sonntags ins Büro und studierte Informationen über einen Botaniker, der in den frühen Achtzigern regelmäßig den Frühling im Palau verbracht hatte, oder
die Familie Selzer aus Bremen, der jedes zweite Jahr zum neugeborenen Kind gratuliert worden war, bis der Vater seine Arbeit verlor und sich weigerte, Ruths Angebot des Stammgast-Sonderpreises anzunehmen. Noch heute bekamen alle vier Selzer-Kinder, obwohl längst erwachsen, Post vom Palau zum Geburtstag. Ich erfuhr, dass Hermann Schmidt aus Berlin eine Woche vor seinem Tod im Palau Gefallen an Dostojewski gefunden hatte und voller Dankbarkeit abgereist war, dass Annegret Becker aus Bielefeld sich den Knöchel beim Klettern über eine Buhne gebrochen hatte und für den Rest ihres Urlaubs mit Erdbeertörtchen und Brecht ernährt worden war, was ihr außerordentlich gut bekam. Von verlorenen Schlüsseln las ich, geprellten Rechnungen, gewährten Krediten, gestohlenen Büchern, glücklichen Familienzusammenführungen und deren Gegenteil. Ruth ließ mich gewähren, sagte nichts, wenn sie mich beim Lesen erwischte. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass sie sich leise wieder zurückzog, wenn sie mich über den Kasten gebeugt fand. Ich war auf dem besten Wege, Expertin für Stammgäste zu werden, wusste Details über Familienverhältnisse und Vorlieben mir völlig fremder Menschen und überraschte im Lauf der Zeit einige Gäste mit meinem Wissen um ihre Meeresfrüchteallergie oder ihre Abneigung gegen Zimmer zwölf.
    Telefondienst war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, wenn man es denn zu den Beschäftigungen zählen wollte. Es war völlig überflüssig, in der Rezeption herumzusitzen, denn man konnte das Telefon gut bis in die Kajüte hören, auch wenn Elisabeth Musik laufen hatte. Trotzdem teilte mich Ruth sonntags oft für die Rezeption ein.
    Â»Die Rezeption ist das Herz eines Hotels. Wer das Herz kennenlernen will, muss genau wissen, wie es schlägt.«

    Das gefiel mir, und meine Karteikartenlektüre wurde nur selten vom Telefon unterbrochen, das bis weit in den Mai hinein, wenn überhaupt, höchstens einmal in zwei Stunden ertönte.
    Mit der Zeit wurde das Klingeln sogar eine willkommene Abwechslung, und ich ging zunehmend gerne ran. Man versicherte mir, dass ich eine angenehme Telefonstimme hätte, und lobte später bei der Anreise die »aufmerksame und freundliche Dame bei der Reservierung«. Ich lernte Diätwünsche und Zimmervorlieben anhand meines Karteikartenwissens im Voraus zu benennen, was stets einen guten Eindruck machte, und blickte eines Tages in das erfreut lächelnde Gesicht der Tante, während ich gerade die Worte »in unserem Haus gibt es leider keinen Aufzug« anbrachte.
    Â»Warum lächelst du, Tante?«
    Â»Hast du gerade ›unser Haus‹ gesagt, Nichte?«
    Â»Ja. Was ist denn dabei?«
    Â»Nichts. Es gefällt mir, wie du mit den Leuten sprichst.«
    Später lobte sie mich vor versammelter Mannschaft und allmählich begann ich es selbst zu glauben: Ich war gar nicht so übel fürs Hotelfach.
    Â»Wir«, »bei uns«, das ging mir täglich leichter über die Lippen. Ruth schenkte mir eine Ausgabe von »Hotel & Gast«, weswegen es allerdings zwischen Elisabeth und ihr zum Krach kam. Warum genau, erfuhr

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