Das Meer in Gold und Grau
schieben lieÃ.
»Ist mir noch gar nicht aufgefallen, so direkt vor meiner Tür.«
»Du musst eben lernen, die Augen aufzumachen.«
Wir stiegen hoch, Ruth voran, und gelangten in einen ziemlich kleinen Raum, in dem ich leicht in die Hocke gehen musste, um nicht ständig an die Schrägen zu stoÃen. Es herrschte eine beängstigende Ordnung: Einfache Holzregale waren rundum angepasst worden, darin Aktenordner, Pappkartons und Plastikkisten, auf denen mit schwarzem Filzstift der Inhalt verzeichnet war: Steuer, Korrespondenz, Garantiebelege, Elektroschrott und so weiter. Die Wand links gehörte chronologisch aufgereihten Ordnern mit Jahreszahlen drauf, alles staub- und geheimnisfrei und nichts, was ich auf den ersten Blick gerne mit meiner Tante durchforstet hätte.
»An die Arbeit!«, sagte Ruth.
»Sieht doch schon klasse aus.«
»Das Zeugs dürfte gar nicht hier lagern.«
»Wieso?«
»Brandschutz!«
»Wen stört das?«
»Mich! AuÃerdem habe ich nicht gerne etwas unerledigt.«
Ich wollte fragen, was sie damit meinte, aber die Tante sagte: »Erst Steuerpapier!«, als wäre das ihr letztes Wort.
Die Belege der siebziger bis Mitte neunziger Jahrgänge waren zu entsorgen. Die Tante gab die chronologische Wand förmlich zum Abschuss frei: »Petri heil! Tob dich aus!« Augenblicklich bereute ich es, nicht neben Bascha über die Dielen zu kriechen oder Sergej beim Schrubben der Kochkessel helfen zu müssen, da hätte ich wenigstens Musik gehabt und Tageslicht. Ich klappte einen Aktenordner nach dem anderen auf, stopfte den Inhalt in Pappkartons, die ich die kleine Leiter hinuntertrug, bis vor die Altpapiertonne, die nach einer Stunde bereits überquoll, obwohl noch nicht einmal die Hälfte des Regals leer war.
Die Tante kramte derweil in den Plastikkisten herum, zerrte immer wieder eine aus dem Regalfach, wühlte darin, ordnete die Sachen neu, stellte die Kiste wieder ein, fluchte.
»Man sollte den ganzen Plunder unbesehen wegschmeiÃen!«
»Mach doch!«
Sie nahm eben Anlauf zu einer mutmaÃlich tadelnden Antwort, als sie in der Bewegung stoppte, sich bückte, um etwas hinter einem Karton hervorzuziehen.
»Sieh mal einer an!«
Die Tante lieà sich im Schneidersitz auf die unversiegelten Bodenbretter sinken und gab mir ein Zeichen. Ich eilte zu ihr und freute mich, weil ich dachte, dass dies doch noch auf Erforschung oder Enthüllung hinauslaufen könnte, ein paar Geschichten von früher vielleicht oder längst vergessene Kostbarkeiten aus einem Vorleben der Tante, von dem ich viel zu wenig wusste.
Auf ihrem Schoà hielt sie eine groÃe alte Blechschachtel, weià mit schwarz-rotem Aufdruck: COFFEIN-FREIER KAFFEE HAG.
»Schön«, sagte ich und blieb in gebückter Haltung vor ihr stehen.
»Was?«
»Die Dose.«
Sie sah mich zweifelnd an und zerrte am Deckel, der nach einiger Anstrengung scheppernd auf den Brettern landete. Ruth griff vorsichtig hinein, versank fast bis zum Ellenbogen darin, zog sachte einen Gegenstand heraus, der im schummrigen Licht nicht sofort zu identifizieren war. Ich ging in die Hocke, um besser sehen zu können.
»Schau!«
Direkt vor meiner Nase balancierte eine ausgestopfte Vogelleiche, der Schnabel unproportional lang im Vergleich zum gedrungenen Körper, das Gefieder am Rücken in diversen Brauntönen gestromt, der Bauch hell, in der Mitte fast weiÃ. Ein einfallsreicher Präparator hatte die dünnen Beinchen auf einen Baumpilz montiert, der an den Rändern abbröckelte und dem Aussehen von getrockneten Kuhfladen ziemlich nahe kam.
»Was ist das?«
Ruth lachte.
»Eine Bekassine, auch âºHimmelsziegeâ¹ genannt.«
»Hübsch.«
Die Tante grinste: »Ich mag sie auch nicht besonders. Eine Gabe des Freiherrn von Kroix, angeblich selbst erlegt. Er hatte zuhause eine ganze Hundertschaft von solchen Präparationen: Vögel, Füchse, Dachs und Eichkatze, ein Sechs- oder Achtender wird auch nicht gefehlt haben. Der Gatte hat zu Lebzeiten eine breite Spur von Tierkadavern hinter sich hergezogen, wenn man Elisabeth glauben mag. In die Kajüte hat es gut hineingepasst,
das Himmelszicklein, aber Lizzy wollte nicht, hat sich total aufgeregt, als sie bei ihrer Ãbersiedlung das Ding neben dem Tresen vorfand.«
Sie hielt sich den Vogel an die Nase.
»Stinkt ein bisschen. Riech mal.«
Instinktiv
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