Das Meer in Gold und Grau
gehtâs!«
Ich sah mich schon unter Anias Regie Kommoden und Kuchenvitrinen bearbeiten, als die Tante meinen Namen nannte.
»Das Nichtlein nehme ich mit auf den Dachboden.«
Ich war begeistert und sagte: »Ich bin begeistert!«
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Ja, die Tante war schwierig, mitunter bis jenseits der Schmerzgrenze, und auch der alltägliche Betrieb war zeitweise aufreibend,
milde ausgedrückt, aber in allen Zuständen, in die das Palau bislang geraten war, hatte ich irgendwie und meistens recht schnell meinen Platz gefunden: Saisonchaos, Schlechtwetterruhe und sämtliche Stadien dazwischen: Jedes Mal hatte ich mit reingepasst, und nie war eine Phase lang genug gewesen, um unerträglich oder gewöhnlich zu werden.
Laut Manu hielt ich den Weltrekord im Vermasseln von Jobs, aber dieser lieà sich scheinbar nicht so schnell vermasseln, nicht einmal von mir. Die Launen der Tante wusste ich zu nehmen, mehr oder weniger, und wenn weniger, dann lernte ich die kleinen Zeichen danach zu schätzen, auch wenn ich kaum eines wirklich in seinem von der Tante kodierten Sinnzusammenhang durchschaut habe, darauf kam es nicht so an. Ritter Sport, Robinson Crusoe oder eine alte Uhr, die klein, rund und golden in der Hand lag: Das gefiel mir, das verstand ich, da brauchte ich keine Feinheiten.
Und die Tante verstand, dass ich verstand, auf meine Weise, machte mir das Bleiben leicht, auf ihre Weise.
Manu hat einmal am Telefon gefragt, was mich dort aushalten lässt, trotz des regelmäÃigen Ãrgers mit der Tante oder den anderen. Vorher sei ich doch immer sofort abgehauen, wenn es Komplikationen gegeben hatte.
»Mit Aushalten hat es nichts zu tun«, habe ich geantwortet, »ich lerne viel, und ich mag die Arbeit, die Menschen auch.«
Aber das war nur der verlegene Bruchteil einer unmöglichen Erklärung. Manu verdrehte dann auch die Augen, mokierte sich: »Viel gelernt! Verarschen kann ich mich selber!«
Dann hielt sie mir einen Vortrag über mein angebliches Mutterloch als Ursache für meine Suche nach der Anerkennung durch ältere Frauen. Ich habe schallend gelacht und ihr gesagt, sie soll mich mit ihrem Psychoscheià verschonen.
»Kompensation ist was für Schachspieler«, habe ich Ruth zitiert und Manu mit einem Loblied auf den gesunden Menschenverstand meiner Tante gereizt. Ruths Antworten auf Theorien bezüglich defizitärer Persönlichkeiten waren nichts als Spott und ein saftiges Arbeitsprogramm: unbequem, aber effizient. Etwas oder jemanden über einen Mangel zu definieren, hielt Ruth für Zeitverschwendung, und wenn man unbedingt traurig sein wollte, konnte man den Lenz lesen, danach müsse es aber auch gut sein.
Manu fand das arg verkürzt formuliert; mir gefiel das auÃerordentlich gut.
Ich blieb vielleicht auch deswegen im Palau, weil es mir dort trotz allem besser ging als anderswo. Gut verborgen zwischen hereinschwappenden Touristenwellen, standesbewussten Darjeeling-Trinkern, vor sich hin dösenden Katzen und dieser Handvoll komischer alter Leute, die den Laden am Laufen hielten, verging mir die Zeit in einem eigenen Takt: nicht langsamer, nicht schneller, nur anders, und das war gut für mich.
Die Flüchtigkeit einer Hoteladresse, ohne Verpflichtung oder Arbeitsvertrag, kam beruhigend hinzu: Ich konnte ja jederzeit abhauen, konnte also genauso gut noch mit dem Fortgehen warten. Keine besonders erwachsene Haltung, wie ich von Manu zu hören bekam, aber das war mir vollkommen egal.
Von den Alten bekam ich einen Platz auf der Personalbank frei gemacht, wo ein Teller mit warmer Suppe auf mich wartete, auch dann noch, vielleicht sogar erst recht, wenn Krach gewesen war, das reichte.
Die Tante sagte: »Erklärungen sind eh Quatsch.«
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Der Dachboden war nicht das, was ich mir darunter vorgestellt hatte: kein mit verstaubten Holztruhen und leinenverhängten
Antiquitäten vollgestopftes Panoptikum von Merkwürdigkeiten, keine riesige Halle, von Balken durchkreuzt, auf denen Eulen und Gespenster hätten sitzen und auf die Eindringlinge herabschauen können, keine holzwurmzerfressenen Kleiderschränke, keine Schaukelpferde oder Hutschachteln mit Porzellanpuppen darin, aus denen längst erwachsene Kinder die Augen gedrückt hatten.
Ruth hatte einen Besenstiel mit Haken in die Ãse an der Decke vor meinem Zimmer gesteckt und eine Klappe zu uns heruntergezogen, aus der sich mit wenigen Handgriffen eine Leiter
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