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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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wich ich zurück und plumpste auf meinen Hintern.
    Â»Die tut dir nichts, Dummerchen, ist länger tot als du lebendig.«
    Â»Glaub ich nicht.«
    Ruth kicherte, betrachtete beinahe liebevoll das kleine Tier mit den ausdruckslosen Glasaugen, legte die Fingerspitzen auf das gefiederte Köpfchen.
    Â»Du hättest sie sehen sollen!«
    Â»Wen, Tante?«
    Â»Die Freifrau von Kroix! Wie sie angereist kam: eine blondgelockte Sommerbrise in Altrosa, die in hochhackigen Schuhen auf der provisorisch verlegten Bohle über die halbfertigen Eingangsstufen hereinwehte. Der Freiherr, obwohl bereits leicht gekrümmt, überragte sie um Haupteslänge, aber mit ihr Schritt halten, das konnte er nicht mehr, hatte es nie gekonnt, wenn du mich fragst, trotz seines belämmerten Adelstitels und der prall gefüllten Konten. Unsichtbar war der große Mann neben dieser kleinen Frau in Crêpe de Chine! Es wehte um ihren schlanken Körper herum, dass die Kerle sich die Hälse verrenkten, wenn sie über die Wiese ging. Tat unschuldig und wusste ganz genau, wie sie sich in den Wind stellen musste, um ihr Kleid so zum Tanzen zu bringen, dass es einen zwang, sie anzusehen.«
    Sie kicherte wieder, stellte den Vogel neben sich ab, lächelte zur Decke hin.

    Â»Und dann diese Stimme! Wusstest du, dass sie bei privaten Abendgesellschaften gesungen hat?«
    Â»Nein!«
    Â»Doch! Nicht zu fassen! Und ich war die Erste, die sich getraut hat, ihr zu sagen, dass sie den Ton nicht halten kann.«
    Ruth lächelte ins Regal hinein, fegte mit der Handfläche den nicht vorhandenen Staub von einer Pappschachtel, schüttelte ihren Kopf.
    Ich wollte, dass sie weitererzählt, wagte nicht, sie dazu aufzufordern, weil ich fürchtete, sie würde, sobald ich etwas sage, etwas aus ihrem Gesicht verschwinden lassen, was sich gerade darin spiegelte. »Nicht zu fassen!«, sagte sie noch einmal und schien sehr weit weg zu sein. Unter uns ging der Staubsauger an, jemand schrie: »Telefon!« Die Tante scherte sich nicht darum.
    Â»Eines Nachmittags bemerkte die Freiin von Kroix, dass mir der Betrieb über den Kopf wuchs. In der Küche brannte der Auflauf an, die Handwerker riefen nach mir, und in der Kajüte wollten die Gäste endlich ihr Essen. Da band sie sich ohne Umschweife die Küchenschürze über das Seidenkleid, streifte die Pumps von den Füßen und half. Einfach so. Sie kratzte die schwarze Kruste vom Auflauf, streute frischen Käse darüber, garnierte die Teller mit reichlich Petersilie und nahm beim Servieren gleich neue Getränkebestellungen auf, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie war gut: ein Glücksfall, für mich, für den Laden, von Anfang an! Die Frau hatte einen Blick für die Leute, war viel umgänglicher als ich, und was sie anpackte, gelang. ›Ich bin Elisabeth‹, sagte sie schlicht, als ich ihr versicherte, sie brauche das nicht zu tun. Am nächsten Tag erschien sie in Hosen und Tennisschuhen in der Küche und fragte, ob sie wieder helfen dürfe, sie langweile sich sonst zu
Tode! Sie hat richtig gequengelt, die Arme, wie hätte ich da nein sagen sollen? Wäre ich auch schön blöd gewesen. Von da an hat sie mitgemacht, dirigierte den Tresen mit ihren manikürten Händen, eroberte den Backofen, hockte abends mit am Personaltisch und teilte das Trinkgeld auf, während ein Stockwerk höher der Freiherr sich bereits zur Ruhe begeben hatte. Es war das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie zum Betrieb gehörte, niemand störte sich daran, sie jeweils nach dem Frühstück vom Gaststatus in den Personalstatus wechseln zu sehen. Alle mochten sie, die Gäste, die Mitarbeiter, die Dörfler. Ich mochte sie auch. Logisch. Und mit ihrer Hilfe brachte ich den Betrieb in wenigen Wochen weiter voran als allein oder mit meinen Aushilfen in den Monaten zuvor. Eine wie sie hatte mir gefehlt, und mir graute vor dem Tag ihrer Abreise. Der Freiherr, tagsüber im Strandkorb vor sich hin kränkelnd, schien ganz zufrieden damit, dass seine Frau eine Beschäftigung gefunden hatte. Er stimmte einer Verlängerung ihres Aufenthaltes bereitwillig zu. Am Ende des Sommers, als die Abreise sich nicht mehr hinausschieben ließ, versicherte Elisabeth, sich in keinem Urlaub zuvor so wohl gefühlt zu haben, und sie versprach, spätestens im nächsten Frühjahr wiederzukommen. Von einem Preisnachlass oder gar

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