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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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vorbringen. Der Doc sagte: »Ich hab Sprechstunde, kriegt euch wieder ein«, und verließ den Raum. Ich ging ebenfalls, quetschte mich vor der Garderobe am Doc vorbei, der gerade seine Stiefel anhob, überhörte, wie jemand meinen Namen rief, warf die Tür hinter mir zu und lief ums Haus herum. Während ich mir die Tränen mit dem Ärmel wegwischte und versuchte, unter dem Dachvorsprung beim Kücheneingang eine Zigarette anzuzünden, schlurften die Gummistiefel des Doc näher, der sich bis zur Nasenspitze in seinen Regenmantel gehüllt hatte.
    Â»Hab ein bisschen Geduld mit deiner Tante. Ruth meint es nicht so, wie es klingt. Sie hat es zurzeit nicht leicht.«
    Ich fand dies keiner Antwort würdig und drehte mich von ihm weg. Der Doc legte mir eine Hand auf die Schulter, führte sein brennendes Sturmfeuerzeug an meine Zigarettenspitze.
    Â»Weißt du nicht, dass meistens andere dafür zahlen müssen, wenn Ruth Angst hat?«
    Ich wollte gar nichts wissen, schüttelte seine Hand ab und wartete, bis er endlich seiner Wege ging.
    Â»Und rauch nicht so viel!«
    Â»Ach, lass mir die Ruhe.«
    Er schlurfte davon.
    Â»Katia, nimm es nicht so tragisch«, hörte ich kurz darauf Heinrichs Stimme neben mir. Er hatte sich nicht damit aufgehalten, etwas überzuziehen, stand triefend im Regenschütter und sah mich traurig an. Ich wich seinem Blick aus.
    Â»Ruth wird sich beruhigen, und dann tut es ihr leid. Sie wird
das zwar nicht sagen, aber es wird dann alles wieder gut sein. So ist es immer gewesen.«
    Â»Ruth kann mich mal!«
    Wassertropfen perlten von seiner Stirn, ein kleines Rinnsal zog eine Spur von einer verrutschten Haarsträhne zum Mundwinkel.
    Â»Geh rein, Heinrich, du erkältest dich.«
    Â»Kommst du mit?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Sollen wir einen Spaziergang machen? Bei diesem Wetter werden die wunderlichsten Dinge angeschwemmt!«
    Ich versuchte ein Lächeln, das zur Fratze missriet, und bat ihn, mich in Ruhe zu lassen. Heinrich ging weg, kam einen Augenblick später wieder, hängte mir eins von seinen Regencapes um die Schultern, bevor er wortlos wieder verschwand.
    Ich rauchte eine halbe Packung, bevor ich mich durch den Hintereingang schlich. Auf Strümpfen stieg ich die Treppe zum Schwalbennest hoch und begann, meine Sachen zusammenzupacken. Ich hatte die feste Absicht, den Sieben-Uhr-Bus zu erreichen, dessen Abfahrtszeit ich dann, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, das Haus zu verlassen, verstreichen ließ. Einmal hörte ich Schritte vor der Tür, ich starrte auf den Spalt zwischen Boden und Tür, wartete, aber nichts schob sich darunter durch, niemand klopfte, die Schritte entfernten sich wieder. Ich kann mich nicht erinnern, jemals vorher so ausdauernd geheult zu haben, nicht einmal, als Papa mir erklärt hatte, dass wir beide von nun an alleine zurechtkommen müssten, weil Mama jetzt woanders wohnen würde, weit weg, so dass sie uns nicht so bald besuchen kommen könnte, aber natürlich hätte sie mich immer noch lieb, und ich wusste genau, dass nichts davon der Wahrheit entsprach.

    Irgendwann muss ich eingenickt sein. Kurz vor elf schlich ich mich in die Kajüte, wo ein einzelner Teller auf dem Tisch wartete, neben dem mein Serviettenring lag. Gaudeamus igitur war darin eingraviert, Ruth hatte das spaßig gefunden und ihn in meiner zweiten Palau-Woche zu »dem Nichtlein seiner« erklärt. Elisabeth saß einsam auf dem Hocker hinter der Theke, schreckte hoch, als ich näher kam, und machte sich daran, die Suppe aufzutragen, die sie auf dem Herd für mich warm gehalten hatte.
    Ich setzte mich, begann stumm zu löffeln.
    Elisabeth ging Brot holen, polierte Gläser und kramte in der Schankstube herum, bis ich den leeren Teller von mir schob.
    Â»Willst du mehr?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sie nahm Teller und Brotkorb vom Tisch.
    Â»Da wäre noch ein Blaubeertörtchen.«
    Â»Danke. Ich muss schlafen.«
    Â»Ja. Du siehst sehr müde aus.«
    Ich nickte: »Wie ausgekotzt beschreibt es wohl besser.«
    Elisabeth lächelte: »Ziemlich übel, ja.«
    Â»Wo ist Ruth?«
    Â»Sie hat gesagt, ich soll mit der Suppe auf dich warten, und ich soll dir das hier geben.«
    Auf ihrer flachen Hand lag ein rotes Stück Samt, sorgsam zu einem kleinen Päckchen gelegt, aus dem ich eine winzige goldene Taschenuhr faltete.
    Â»Was soll das?«
    Â»Sie

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