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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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erhob er sich, reichte seiner Halbschwester die Hand und sagte mit der Andeutung einer Verbeugung »freut mich sehr!«, wie er noch stets jede Frau begrüßt hatte, die ihm vorgestellt worden war. Nur dass hier noch keine Vorstellung stattgefunden hatte, weil ich in den Sekunden, in denen dazu Zeit gewesen wäre, zu verblüfft war, um etwas zu sagen. Er wusste eindeutig, wen er vor sich hatte, und ich suchte nach Anzeichen, die das als Missverständnis entlarven würden, denn wie hätte er das können? Ruth erwiderte seinen kräftigen Händedruck mit ungewohnter Herzlichkeit und sagte: »Mich auch!«
    Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke, was niemand weiter zur Kenntnis nahm. Sie warteten beide, bis ich mit Husten fertig war, ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln.
    Â»Ich habe Katia im Strandkorb verschwinden sehen«, sagte die Tante, »wollte nachsehen, wo sie abgeblieben ist, und da finde ich jetzt euch beide. Viel zu kalt, um draußen zu sitzen, findet ihr nicht? Wir sind hier ja nicht in Berlin, wo die Leute sich in den Cafés und Restaurants bis in den Winter hinein freiwillig die Nase abfrieren, um italienische Piazza-Gefühle aufkommen zu lassen, dabei sehen sie aus wie schlecht eingewickelte Heringe mit diesen albernen Decken um sich herum.«

    Sie quasselte wie ein Wasserfall, während ich sie mit offenem Mund anstarrte.
    Â»Diese grässlichen Heizpilze, wie man sie jetzt überall sieht, würde ich niemals aufstellen, sie gehören verboten!«
    Â»Das stimmt«, sagte mein Vater.
    Nachdem also Übereinstimmung in Sachen Heizpilzen festgestellt worden war, folgte mein Vater Ruths Aufforderung, ins Warme zu kommen, ohne auch nur ein gesondertes Wort an mich zu richten. Ich trottete hinter den beiden her, stoppte in der Kajüte vor dem vollbesetzten Personaltisch und hörte zu, wie sie ihn den anderen vorstellte: »Das ist Hans Werner, Katias Vater, mein Bruder, logisch.«
    Wie kam es, dass sie gleich gewusst hatte, um wen es sich bei dem Mann neben mir handelte, und warum benutzte sie einfach so seinen Vornamen? Warum hatte sie ihn statt meiner den anderen vorstellen können? Niemand außer mir schien sich darüber zu wundern.
    Sie nahm meinen Vater beim Arm, schob ihn einen Schritt nach vorne und wies auf die Runde, die dort saß.
    Â»Hans, das ist die Sommerbelegschaft vom Palau.« Als wäre dies das Selbstverständlichste von der Welt.
    Reihum standen alle auf, begrüßten ihn, ließen sich vorstellen.
    Â»Angenehm.«
    Â»Habe die Ehre.«
    Â»Hallo.«
    Frank sagte: »Sie sind sicher schon zum Geburtstag angereist.«
    Papa sagte: »Ja. Auch.«
    Ich schaute auf den Kalender neben dem Tresen und sagte: »Ach du Scheiße!«

    Elisabeth und Ruth riefen unisono: »Katia!«
    Von meinem dreißigsten Geburtstag trennten mich nicht einmal mehr zwölf Stunden, und obwohl es dämlich war, das vergessen zu haben, fand ich mich ganz entschieden zu alt für die Situation, die sich gerade vor meinen Augen abspielte.
    Â»Wieso bin ich hier die Einzige im Raum, die sich Fragen stellt?«
    Â»Ist das denn so?«, sagte Elisabeth.
    Die Tante sah merklich nicht zu uns hin und sagte: »Hans, was darf ich dir bringen?«
    Ich sagte: »Ihr entschuldigt mich«, schnappte mir Ruths Tabakpackung vom Tisch und lief nach draußen. Wozu brauchte ich Erklärungen? Ich rauchte eine Zigarette, dann noch eine und konnte es auch nach der dritten noch immer nicht fassen, dass keiner nach draußen kam, um zu sehen, wo ich abgeblieben war. Es half nichts, ich musste wieder rein, wenn ich erfahren wollte, was hier vor sich ging. Als ich die Kajüte betrat, fand ich meinen Vater vor einem großen Pils zwischen Frank und Heinrich sitzend, als gehöre er da hin, und den verdammten Trompeter hatte auch schon jemand in den CD-Spieler geschoben.
    Â»Störe ich?«
    Â»Nein«, sagte mein Vater, »wie kommst du darauf?«
    Â 
    Es dauerte, bis sie mich gemeinschaftlich wieder beruhigt hatten.
    Im Rückblick sieht die Szene fast schon schön aus: Vertraute Gesichter reihen sich um mich, freundschaftliche Hände liegen auf Rücken und Schulter, jemand drückt mir ein warmes, stark nach Alkohol riechendes Glas in die Hand. Gesten, Worte, ich höre Wohlwollendes und die Versicherung, »alles
ist gut, beruhige dich. Wir werden uns erst mal Gedanken machen, wie der morgige

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