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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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dass man ihn von drüben sehen konnte.
    Als er den Blick wieder auf die gegenüberliegende Küche richtete, sah er nur die Frau. Sie stand desorientiert vor dem Fenster und bewegte hektisch den Mund. Dann stürmte sie voran. David hielt mitten in der Kaubwegung inne. Was war denn jetzt los? Das musste er auf jeden Fall richtig verfolgen. Sofort lief er zur Tür, löschte das Licht und eilte zurück. Die Küche war leer - zumindest der Fensterausschnitt, den er einsehen konnte. Die anderen Zimmer auf der Frontseite waren nicht beleuchtet. Doch! Im ersten Stock ging plötzlich das Licht an und die Frau stand im Türrahmen. David wackelte zu stark mit dem Fernglas, als dass er etwas Genaues hätte beobachten können. Schnell stützte er sich auf die Fensterbank, um ein ruhiges Bild zu bekommen. Mit großen Augen nahm er das Zimmer in sich auf, das genau gegenüber seinem lag, vielleicht etwas niedriger. Die Frau stand vor einer Fläche, die David kurz darauf als Bett identifizierte. Der Junge lag darauf. Dann setzte sich die Frau und sie redeten wieder. Nach einiger Zeit verließ sie das Zimmer. Der Junge aber blieb. David wartete gespannt. Das war also sein Zimmer, dachte er erfreut. In seinem Kopf tummelten sich einige Vorstellungen, in welchen Situationen er den Jungen noch würde beobachten können. Drüben hielten sie offenbar nicht viel von Vorhängen. Kurz darauf entschied sich David, dass er wohl doch mit seiner Mutter Gardinen kaufen würde. Sicher war sicher.

    5

    David brachte eine halbe Stunde später das Brettchen hinunter und hörte seine Eltern wieder streiten. Seit sie in ihrem neuen Heim angekommen waren, schienen sie nichts anderes mehr zu tun zu haben. Als er in die Küche trat, herrschte augenblicklich betretenes Schweigen. Manchmal fragte David sich, ob seine Mutter wirklich dachte, dass er nichts von den Streitereien mitbekam, nur weil sie in seiner Anweseheit angestrengt schwiegen.
    »Ich habe gedacht, ich bringe doch noch schnell das Brettchen runter, damit du nicht dran denken musst.« David legte den Gegenstand auf die Anrichte. Das machte er immer so, weil er davon ausging, dass man am nächsten Morgen noch mal Brote darauf legen konnte. Aber er wusste sehr wohl, dass seine Mutter immer ein Neues nahm und das benutzte schon in der Frühe abwusch.
    »Danke Davi«, sagte sie und sah ihn liebevoll an. Das war auch so eine Masche. Wenn sie sich gerade mit seinem Vater stritt, war sie immer besonders nett zu ihm.
    »Kein Thema«, sagte David. Er sah für einen Moment zwischen den beiden hin und her.
    »Willst du uns etwas sagen?«, fragte seine Mutter und machte eine auffordernde Geste.
    Ja, natürlich wollte er etwas sagen. Am liebsten, dass er ab sofort nicht mehr gestört werden wollte, wenn er die Nachbarn bespannte. Aber das würde das Verständnis seiner Mutter bei weitem sprengen. Also schüttelte er den Kopf.
    »Gehst du jetzt schlafen?«
    »Ja, gleich.«
    »Denk dran, du musst morgen früh raus, mach nicht mehr so lange.«
    »Mensch Hanne«, mischte sich Ansgar ein, »der Junge ist kein Kind mehr.«
    »Aber sicher ist er noch ein Kind!«, rief sie spitz. »Was verstehst du schon davon?«
    Bevor sein Vater etwas erwiedern konnte, sagte David: »Ihr könnt euch gern weiter streiten, aber es gibt sicher bedeutend bessere Themen.«
    Seine Mutter sah ihn mit aufgeklapptem Mund an, während sein Vater vor sich hin grinste.
    »Für Mam bin ich halt immer ein Kind und für Paps schon erwachsen.« David lächelte. »Beides hat seine Vor- und Nachteile. So, ich bin jetzt auf meinem Zimmer. Gute Nacht.«
    Er ließ seine sprachlosen Eltern in der Küche zurück und kletterte in den ersten Stock hinauf. In dem Zimmer auf der anderen Straßenseite saß der schwarzhaarige Junge noch an seinem Schreibtisch direkt vor dem Fenster. David zog sich im Dunklen aus und blieb eine Weile nackt mitten im Raum stehen. Der Gedanke, dass der Junge ihn würde sehen können, wenn er jetzt das Licht einschaltete, erregte ihn. Aber er ließ das Licht aus. Stattdessen nahm er sich wieder das Fernglas und stützte sich auf. Der Junge war in irgendwelchen Büchern vertieft. Ab und an schrieb er ein wenig. Dann sah er auf und es machte den Eindruck, als würde er geradewegs zu David hinüber gucken. Aber das war natürlich Quatsch. Trotzdem war es interessant, das Gesicht seines Gegenübers mal frontal zu sehen. Es sah witzig aus, wie er das Stiftende mit den Lippen hielt und sein Schreibuntensil wippen ließ, bis ihm die

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