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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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erschweren, indem er die Bombe am Ende doch noch fallen ließ? Die Erleichterung, die Selmas Umzugspläne heute morgen in ihm ausgelöst hatten, zerbrach unter ihm wie eine zu dünne Eisschicht und ließ ihn unversehens in kaltes Wasser fallen. Unwillkürlich schnappte er nach Luft.
    »Was hast du?«, fragte Paolo mit gespieltem Interesse. »Ist was nicht in Ordnung?«
    »Nichts - also, ich meine - alles in Ordnung«, sagte Merlin schnell. Aber in Paolos Augen konnte er lesen, dass absolut gar nichts in Ordnung war.
    »Du wirkst irgendwie angespannt« sagte er ruhig. »Vielleicht kann ich dir ja ein wenig helfen?«
    Merlin wusste sofort, worauf Paolo hinauswollte und schnappte sich schnell seine Zahnbürste aus dem Schrank. »Ich muss mich beeilen.«
    »Das ist natürlich schade«, sagte Paolo gedehnt. »Hätte sicher nicht nur dir geholfen, ein wenig lockerer zu werden.«
    Mit diesen Worten verabschiedete sich Paolo aus dem Badezimmer und ließ Merlin sprachlos zurück. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? In ihm gärte der Verdacht, dass das eine versteckte Drohung war. Also war auch Paolo angespannt und wollte sich durch Sex beruhigen lassen. Merlin schluckte. Demnach musste er schon von Selmas Plänen wissen. Und jetzt, nachdem Merlin sich verweigert hatte? Würde er nun das Geheimnis lüften? Merlin schüttelte den Kopf. Nein, er konnte nicht glauben, dass seine Mutter gestern abend noch mit ihm gesprochen hatte. Sicherlich wäre das auch nicht ruhig abgelaufen. Paolo hatte ein ausgesprochen feuriges Temperament - vor allem, wenn ihm etwas nicht gefiel - und diese Neuigkeit würde ihm absolut nicht gefallen. Trotzdem wurde Merlin seine Befürchtungen diesbezüglich nicht los. Paolo hatte es mal wieder geschafft, ihn ganz beiläufig unter Druck zu setzen. Die Tatsache, dass Paolo heute frei hatte und den ganzen Tag zu Hause sein würde, wirkte sich da nicht sonderlich beruhigend aus. Aber zumindest war das ein weiterer Grund für Merlin, doch zur Schule zu gehen.
    Eine knappe Viertelstunde später ging er den Weg zur Parkbank hinunter. Heute leuchtete nichts im morgendlichen Sonnenschein. Alles lag trist unter einem grauen Himmel. Trotzdem blieb Merlin einen Moment stehen und betrachtete die Bank. Wahrscheinlich würde David trotzdem dort sitzen, wenn er heute schon zur Schule gehen dürfte.
    Die Schulglocke riss ihn aus seinen Gedanken. Es war bereits fünf vor acht Uhr. Also nur das erste Klingeln vor Schulbeginn. Er würde pünktlich sein. Missmutig trottete er weiter.
    Vor dem Schultor standen die üblichen Schüler und rauchten. Er wollte gerade das Schulgelände betreten, als Linda ihn am Arm festhielt.
    »Hey, was ist mit David?«, fragte sie.
    Merlin erzählte ihr knapp von dem Unfall. »Ich glaube nicht, dass er diese Woche schon zur Schule kommt. Zumindest würde ich es an seiner Stelle nicht.«
    Linda nickte. »Und was ist mit dir?«, fragte sie schließlich.
    Merlin zuckte mit den Achseln. »Was soll mit mir sein? Ich hatte keinen Unfall.«
    »Blödmann.«
    Es klingelte zum zweiten Mal. Acht Uhr. Mit einem Pulk von Schülern liefen sie die Treppen ins erste Stockwerk hoch.
    »Mensch Lin, jetzt sag schon was los ist«, sagte Linda, als sie vor dem Klassenraum auf den Lehrer warteten. »Du machst ein Gesicht, dass kleine Kinder schreiend wegrennen würden.«
    Merlin lächelte müde. »Wir werden umziehen«, sagte er knapp. »Das ist los.«
    Linda machte große Augen. »Also - weit weg?«
    »Keine Ahnung, aber ich denke schon«, sagte Merlin. »Meine Mutter wird sich von ihrem Freund trennen. Ich glaube nicht, dass wir dann noch in Neuss bleiben werden.«
    Linda sagte eine Weile nichts. Dann seufzte sie und meinte: »Kommt doch nach Köln, dann kannst du zumindest weiter hier zur Schule gehen.«
    Merlin lächelte wieder. »Ich weiß sowieso nicht, wie das funktionieren soll, wenn wir jetzt wieder durch ganz Deutschland ziehen.«
    »Versuch ihr das mit Köln schmackhaft zu machen!« Lindas Stimme überschlug sich vor Begeisterung. »Wir könnten immer zusammen fahren!«
    Merlin dachte an Christian. Vielleicht war das gar kein so schlechter Gedanke. Zur Not könnte er sich wirklich noch überlegen, ob er nicht bei Christian unterkommen konnte.
    Als er kurz darauf an seinem Platz saß, kam ihm David wieder in den Sinn. Er würde einen weiteren Schultag ohne ihn überstehen müssen. Schon seltsam, wie schnell er sich an ihn gewöhnt hatte.

    95

    Selma wachte auf, weil sie Stimmen hörte. Blinzelnd öffnete

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