Das Meer in seinen Augen (German Edition)
hier nicht mehr um Anstand oder Lust. Zwischen ihm und Merlin war unversehens ein Kampf entfacht, den es plötzlich zu gewinnen galt. So dämlich sich das auch anhören mochte, aber David konnte nicht verleugnen, dass er Lust verspürte, seine Enttäuschung gegenüber Merlin heimzuzahlen. Es fühlte sich auf eine nicht wirklich befriedigende Weise gut an, mit Paolo herumgemacht zu haben. Was Merlin konnte, das konnte er auch, selbst wenn es nicht das war, was er wirklich wollte. Letztlich wollte er doch nur Merlin.
Während sich David über seine verzwickten Gefühle klarzuwerden versuchte, vergaß er vollkommen das Fernglas, das ihm das Gespräch zwischen Merlin und Paolo hätte zeigen können. Er tauchte erst wieder aus seinen Grübeleien auf, als Selma das Haus verließ. David zuckte regelrecht zusammen. Irgendwie hatte er nicht damit gerechnet, dass sie zu Hause war. Jetzt konnte er sie vollkommen ohne Fernglas beobachten, wie sie ihre Sporttasche überschwang und die Straße hinunterging. Selma war weg, Paolo und Merlin noch da. Würde Paolo etwa von seiner kleinen Fummelei mit ihm erzählen?
Wie er es erwartet hatte, tauchte Paolo unmittelbar nach Selmas Verlassen in Merlins Zimmer auf. David spürte Aufregung in sich aufsteigen. Es war Eifersucht, die ihm das Atmen schwermachte. Aber so ganz konnte er sich nicht entscheiden, auf wen von beiden er nun eifersüchtig war. Auf der einen Seite stand Merlin, der sein Freund war, mit dem er sich eine Beziehung wünschte, dem er aber auf keinen Fall eine Affäre zu diesem Mann gönnen konnte. Andererseits gönnte er auch Paolo nicht, sich mit Merlin zu vergnügen. Aber das hatte wohl eher den Ursprung darin, dass Merlin ihm mehr geben konnte, als er selbst ihm heute gegeben hatte. Am Ende bedeutete das nur, dass er und Merlin nicht gleichwertig waren. Paolo hatte sich bei ihm heute Mittag Appetit geholt, den er nun mit Merlin stillen würde. David schluckte schwer. Wollte er denn wirklich etwas von Paolo? Die Antwort auf diese Frage schockte ihn selbst. Die Tatsache, dass er wiedermal außen vor stand, brannte in seinem Hals. Er wollte Sex. Plötzlich konnte er Merlin mehr als gut verstehen. Nichts wünschte er sich mehr, als eine echte und ehrliche Beziehung zu Merlin. Er wollte mit ihm zusammen sein und sich auf ihn verlassen können. Doch Paolo war etwas anderes. Dieser Mann war Sex pur. Etwas Verbotenes, das man unbedingt probieren wollte, obwohl man wusste, dass es absolut nicht gut war.
Dann sah David dem üblichen Kampf zu. Merlin stieß Paolo von sich, wie er es vorhin selbst gern getan hätte. Dabei wusste David schon jetzt, dass Merlin keine Chance haben würde. Die Frucht war einfach zu verlockend, als dass man ihr tatsächlich widerstehen konnte. Wahrscheinlich wusste Merlin es selbst auch. Vielleicht baute er es auch nur deshalb in das Spiel mit ein, um einen Anschein von Anstand zu bewahren. Er wollte das nicht, was gleich passieren würde und er gab vor, sich zu wehren, obwohl er schon jetzt wusste und vielleicht sogar hoffte, dass er Paolo unterliegen würde. Und so kam es schließlich auch. David bleib als Zuschauer auf der anderen Seite zurück. Dies war nicht sein Spiel. Er verspürte Hass in sich aufsteigen. Sein Hals brannte wie Feuer. Jetzt in diesem Moment war er sich ganz sicher, dass er mit seinem Geständnis gegenüber Selma richtig gehandelt hatte. Nur dass eben doch nicht das dabei herausgekommen war, was eigentlich hätte herauskommen müssen. Stattdessen gab es eine weitere Vorstellung von dem, was David auf keinen Fall sehen wollte. In seiner Wut beschloss er, dass er gleich morgen zu Paolo auf die Arbeit gehen würde, um es mit ihm in seinem Büro zu treiben. Ja, er würde diesmal nicht gegen ihn angehen und sich vor dem Ziel von ihm freimachen, sondern bis zum Ende warten, um es Merlin heimzuzahlen. Am Besten, er würde es gleich vor seinen Augen mit Paolo tun.
Selma riss ihn aus seinen Racheplänen heraus. Verwundert sah David, dass sie mit hastigen Schritten wieder die Straße hinuntergeeilt kam. Augenblicklich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Also würde es doch noch zu einem glücklichen Ende kommen, dachte er finster. Ein Blick durchs Fernglas versicherte ihm, dass Selma weder zu früh noch zu spät auftauchte.
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Selma hatte sehr wohl die Anspielungen ihres Freundes verstanden, die er so bereitwillig ausgesprochen hatte. Das war auch der Grund gewesen, weshalb sie sich dazu entschlossen hatte, doch noch ihre
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