Das Meer in seinen Augen (German Edition)
ebenfalls mit dabei. Als sie sich dazustellten, fing ein Junge aus der Parallelklasse an Schwulenwitze zu erzählen. Merlin wusste, dass das ihm galt. Damit wurde er immer mal wieder konfrontiert. Für normal sprang Linda dann sofort für ihn in die Bresche und sorgte für Gerechtigkeit. Aber diesmal sah sie ihn nur böse an und tat, als würde sie das alberne Getue hinter sich nicht mitbekommen. Das war also seine Strafe dafür, dass er ihr nicht nach der Nase tanzte.
33
Nach der Schule ging David schweigend neben Merlin her. Er spürte, dass der Junge wieder mit etwas beschäftigt war. Wahrscheinlich machte er sich Gedanken über die blöden Kommentare der Typen aus der Nachbarklasse. Doch dann rief sich David wieder die Aktion mit dem Zettel ins Gedächtnis. Ob ihn das beschäftigte?
»Worüber denkst du nach?«, fragte David schließlich.
Merlin sah ihn an und schenkte ihm ein süßes Lächeln. »Gar nicht neugierig, was?«
»Entschuldige«, sagte David schnell. Irgendwie hatte er den Verdacht, dass er immer genau das Falsche sagte.
»Ach Quatsch.« Merlin lachte. »Ich bin einfach nur froh, dass die Schule aus ist - und dass du mit mir redest.«
David fühlte sich plötzlich, als würde er schweben. Trotzdem nahm er Merlin die Freude nicht ab. »Es sah eher so aus, als würdest du ernsthaft über was nachdenken.«
Merlin nickte. Das Lächeln war verschwunden. »Ich glaube, ich habe mit Linda jetzt richtig Zoff.«
David sagte dazu nichts. Er wollte nicht immer Fragen stellen. Sicher würde das irgendwann so aussehen, als ob er Merlin verhörte. Also gingen sie schweigend über die Wiese. Dann blieb Merlin plötzlich stehen.
»Willst du dich noch auf die Bank setzen?«
David sah ihn überrascht an. »Okay«, sagte er zaghaft. Nun war er an der Reihe, Fragen zu beantworten. Nervös blieb er vor der Bank stehen, während sich Merlin bereits setzte. Aber er wollte keine Fragen beantworten. Er wollte nicht mal, dass man ihm Fragen stellte. Merlin sah ihn zweifelnd an und David setzte sich schnell zu ihm, bevor der Startschuss für eine Fragerunde fallen konnte.
Sie schwiegen, während die Bäume über ihnen rauschten und vereinzelt Vögel ihre Lieder zwitscherten. David genoss die Ruhe. Wieder fragte er sich, warum er solche Panik hatte, diesem Jungen die Wahrheit zu sagen. Es fühlte sich falsch an, sich ihm gegenüber nicht zu öffnen. Und Merlin war wohl kaum der Typ, der ein Geheimnis gleich weitererzähen musste. Zumindest glaubte er das. Wenn er aber an die Tatsache dachte, dass genau dieser Junge gleichzeitig mit dem Freund seiner Mutter schlief und eine beste Freundin hatte, die wie ein Rammbock in die Privatsphäre anderer Leute preschte, zweifelte er wieder an der Sicherheit. Er dachte an Hamburg zurück. Seine ehemaligen Mitschüler hatten nicht mal gewusst, dass er schwul war, sie hatten es nur immer behauptet. Wie hätten sie wohl reagiert, wenn er seine Homosexualität einfach zugegeben hätte? Die Typen von vorhin hatten sichtlich ihren Spaß daran gehabt, über Schwule und damit über Merlin herzuziehen. Auf eine gemeine Art war David froh gewesen, ausnahmsweise mal nicht das Ziel des Spotts zu sein. Er räusperte sich.
»Sag mal«, fing er an ohne sich Merlin zuzudrehen, »macht dir das eigentlich nichts aus, wenn die - Typen so einen - Mist machen?«
Merlin schnaubte. »Ach, die können mich mal.«
»Aber ...« David brach ab. Er selbst würde niemals so locker damit umgehen können. Im Grunde hatte es ihn richtig schockiert, dass es auch an dieser Schule solche Leute gab. Er fühlte noch immer die Beklemmung in seinem Hals. Es war die lähmende Möglichkeit, dass diese Attacken genauso gut ihn treffen könnten.
»Das war doch Kleinkram«, sagte Merlin und zwinkerte ihm zu. »Wenn ich mich darum kümmern müsste, hätte ich echt viel zu tun.«
»Also, ich finde das schon heftig.« Obwohl sich David eingestehen musste, dass es letztlich wirklich nicht so schlimm gewesen war. Nur, so fing alles an. Das wusste er sehr gut.
»Ja, Linda auch. Sie dreht immer gleich auf, wenn sie sowas mitbekommt. Nur eben heute nicht, weil wir Streit haben.« Merlin blieb einen Moment still, dann redete er weiter: »Sie sieht das so, dass aus solchen kleinen Späßen schnell ernst wird. Muss wohl an ihrer feministischen Ader liegen. Wenn irgendwer einen Witz über Frauen ablässt, ist sie auch gleich auf Hundertachtzig.«
»Aber dir ist das egal?«
»Warum sollte ich mich mit dem Scheiß belasten?
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