Das Meer in seinen Augen (German Edition)
sich ein Glas und betrachtete skeptisch den Schaum, der sich oben gebildet hatte. »Sieht ja echt wild aus«, sagte er.
Auch David nahm sich sein Glas und hielt es unschlüssig in den Händen.
»Na endlich, die Herren kommen zur Vernunft. Dann kann ich ja jetzt beruhigt zum Hexenclub.«
»Wohin?«, fragte David irritiert.
»Sie trifft sich mittags mit ihren Freundinnen und tauscht Rezepte für irgendwelche Zaubertränke«, sagte Merlin mit geheimnisvoller Stimme. Dann nahm er einen Schluck von seinem Cocktail und fing sofort an zu husten.
»Das geschieht dir recht«, lachte Selma ihn aus. »Glaub ihm kein Wort, David.« Sie zwinkerte und verließ das Zimmer.
»Ma!«, schrie Merlin.
Die Tür öffnete sich wieder ein Stück. »Ja?«
»Was ist da noch drin?« Merlins Zunge brannte süßlich scharf. »Los! Rück raus mit der Sprache!«
»Oh, habe ich vergessen zu sagen, dass auch ein wenig Ingwer drin ist?« Selma setzte eine bestürzte Mine auf. »Ich hoffe ich habe nicht übertrieben. Bis nachher!« Die Tür schloss sich wieder und Selma war verschwunden.
Merlin saß sprachlos auf dem Bett und sah von der Tür zu seinem Cocktail, dann zu David und wieder zurück.
»Was ist los?«, fragte David. »Schmeckts nicht?«
»Darüber kann man sich streiten«, sagte Merlin matt. »Gewöhnungsbedürftig aber mindestens.« Offensichtlich schien David das mit dem Ingwer nicht verstanden zu haben. Erleichtert nahm Merlin noch einen Schluck und schüttelte sich. Seine Mutter schwor jedenfalls auf die aphrodisierende Wirkung dieses Knollengewächses.
»Also ich finde es lecker«, sagte David, nachdem er probiert hatte.
»Hast du schon mal einen richtigen Cocktail getrunken?«, fragte Merlin, als zweifelte er an Davids Verstand.
»Meine Mam würde einen Anfall bekommen, wenn sie wüsste, dass ich Alkohol trinke. Das ist nur was für Erwachsene.«
Merlin lachte. »Ich glaube, wir haben beide mit unseren Müttern so richtig in die Glückskiste gegriffen, was?«
David nickte und trank von seinem Cocktail. »Also ich find's genial«, sagte er. »Wird einem aber gut heiß von, oder?«
»Bei den Zutaten wird einem schon vom Hören heiß«, sagte Merlin und stellte sein Glas auf den Nachttisch. »Du musst das nicht trinken, wenn du nicht willst. Wenn wir ihr nachher sagen, dass es lecker war, ist sie schon zufrieden.«
David trank noch einen Schluck, dann stellte auch er sein Glas beiseite. Merlin befürchtete aber, dass ihm das Zeug wirklich schmeckte. Als sie eine halbe Stunde später mit dem ersten Aufgabenblock fertig waren, hatte David sein Glas leer.
»Willst du was anderes trinken?«, fragte Merlin.
David schüttelte den Kopf. »Aber wenn du deinen Cocktail wirklich nicht willst ...«
35
Selma lächelte, als sie ein paar Stunden später wieder nach Hause kam. Leise schloss sie die Haustür auf und lauschte in den Flur. Alles war ruhig. Sie hatte sich zwar schon gedacht, dass die beiden die Sache langsam angehen lassen würden, aber man konnte trotzdem nie wissen - immerhin waren es Männer. Aber so wie es sich anhörte, hatte sie mit ihrem Gefühl richtig gelegen. Vielleicht würde der Ingwer aber noch seine Wirkung zeigen, dachte sie verschmitzt.
Sie ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen. Draußen fuhr ein Mercedes vorbei. Selma runzelte die Stirn. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass es für Paolo noch viel zu früh war. Trotzdem ging wenig später die Tür auf.
»Hallo Schatz«, sagte Selma und begrüßte ihren Freund mit einem Kuss. »Schon so früh?«
»Ich wusste nicht, dass ich störe, sonst hätte ich später Schluss gemacht.« Paolo lächelte sie an.
»Ach, Quatsch.« Selma lachte. Dennoch war sie irritiert. Paolo kam sonst nie früher von der Arbeit. Und warum hatte er ihr nicht vorher Bescheid gesagt?
»Dann ist ja gut«, sagte Paolo und nahm sie in den Arm.
»Warum hast du nichts gesagt?«, fragte Selma.
»Ich wollte dich überraschen.«
Irgendwie klang das zu flach, dachte Selma. Sie kannte Paolo nun schon ein Weilchen. Ihm entging so schnell nichts, schon gar nicht, wenn es ihm wichtig war. Die Tatsache, dass er jetzt völlig überraschend früher Zeit für sie hatte, sie diese seltene Möglichkeit aber nicht nutzen konnte, lag ihr schal auf der Zunge.
»Ich muss gleich zum Yoga.« Sie löste sich von ihm und versuchte in seinen Augen zu lesen. Für einen Moment schimmerte dort etwas wie Belustigung, vielleicht sogar Berechnung. Selma blinzelte. Dann sahen Paolos Augen
Weitere Kostenlose Bücher