Das Meer in seinen Augen (German Edition)
gestützt. Seine Schuhe lagen mitten im Raum, als hätte er sie einfach fallen lassen.
»Was ist eigentlich mit dir los?«, fragte Hanne erstickt. Sie schluckte. In ihrem Hals hatte sich ein dicker Panikkloß gebildet. Irgendwas stimmte nicht.
»Nichts«, sagte David, rührte sich aber kein Stück.
Hanne konnte an seiner Stimme hören, dass er weinte. »Wenn du mir nicht sagst, was los ist, kann ich dir nicht helfen.«
»Mam.« David drehte sich um und wischte sich über die Augen. »Du kannst mir nicht helfen, okay?«
»Warum nicht?«, fragte Hanne. Was war das überhaupt für eine Aussage? Es gab für alles eine Lösung!
»Weil ich einfach nur schlecht drauf bin, das ist alles.« Er drehte sich wieder um. »Und das heißt nicht, dass ich Drogen nehme, davon wäre ich sicher besser drauf.«
Hannes Herz setzte einen Schlag aus. »Sag sowas nicht!« Ihre Stimme klang erschreckend scharf.
»Dann hör auf, immer gleich so was zu denken«, murrte David. »Und jetzt lass mich bitte wieder allein.«
»Aber du kannst mir doch wenigstens erzählen, weshalb du so traurig bist«, sagte Hanne und trat neben ihren Sohn an den Schreibtisch. »Das hilft.«
David antwortete nicht mehr. Er hatte die Arme auf dem Tisch verschränkt und seinen Kopf hinein gelegt. Gerade wollte Hanne aufgeben und gehen, als ihr der leichte Geruch von Alkohol in die Nase stieg. Alarmiert blieb sie stehen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!
»David, hast du Alkohol getrunken?«, fragte sie, um einen ruhigen Tonfall bemüht.
»Wie kommst du denn jetzt darauf?« David hob den Kopf und sah sie aus geröteten Augen an.
»Ich rieche es.« Hanne stemmte die Hände in die Hüften. »Es riecht hier nach Alkohol!«
In Davids Augen spiegelte sich plötzlich Erinnern, dicht gefolgt von Schuldbewusstsein.
»Also habe ich recht, oder?«
Er nickte. »Ich habe einen Cocktail getrunken.«
Hanne fühlte Wut und Enttäuschung in sich aufsteigen. Aber sie musste sich zurückhalten. Wenn sie jetzt aufbrauste, würde nichts wirklich geklärt werden können. Sie atmete tief durch. »Du weißt, was ich davon halte.«
»Ja«, sagte David. »Aber ich glaube nicht, dass ein Cocktail wirklich schlimm ist.«
»Einer nicht, aber nach dem Ersten kommt meist der Zweite und danach der Dritte. Das machst du dann einmal und etwas später wieder und wieder, bis du am Ende jeden Tag trinkst und Alkoholiker bist.«
»Mam, du übertreibst.« David wischte sich wieder über die Augen. »Ich habe einen Cocktail getrunken, das ist alles. Das heißt noch lange nicht, dass ich morgen wieder einen trinke.«
»Woher hast du den Cocktail überhaupt?«, fragte Hanne. »Hast du in der Schule getrunken?« Innerlich brodelte sie. Wenn dem so war, würde sie gleich morgen die Schulleitung kontaktieren und ...
»Nein, natürlich nicht. Ist doch auch egal.«
»Das ist nicht egal, David. Ich will wissen, wo du dich rumtreibst, um Alkohol zu trinken. Ich bin deine Mutter, ich muss sowas wissen. Und es kommt mir schon komisch vor, dass du dich seit unserem Umzug so verändert hast.« Sie zwang sich, wieder ruhig zu werden. »Wo warst du?«, fragte sie.
»Ich habe Merlin besucht und mit ihm Mathe gelernt.«
»Und dabei trinkt man Cocktails?«
»Danach«, sagte David.
Hanne war einerseits erleichtert, dass ihr Sohn lediglich nebenan gewesen war, andererseits hatte sie nun die Gewissheit, dass sie besser auf Ansgar gehört hätte, was diese Familie anging.
»Hör zu, David.« Sie räusperte sich. »Ich glaube, dieser Merlin ist kein guter Umgang für dich.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich glaube, die ganze Familie ist ein wenig - verkorkst.«
»Nur weil sie anders sind als ihr?« David sah sie herausfordernd an.
Hanne schluckte. Er hatte ihr gesagt, nicht wir. »Nein«, sagte sie sanft. »Sie sind ...« Ihr fiel kein passendes Wort ein. Was waren sie? Dann entschied sie sich schließlich für: »asozial.«
David lachte. »Wieso das denn?«
»Sie haben keine Gardinen!«, sagte Hanne sofort. »Jeder kann zu ihnen reinschauen! Die Mutter scheint mir ein wenig verrückt zu sein mit ihren ganzen Weisheiten und Kräutern. Und ich glaube, sie trinken.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil sie dir Alkohol angeboten haben.«
»Normale Jungs in meinem Alter trinken Alkohol«, sagte David. »Wo ist das Problem?«
»Es ist verboten.«
»Bier und Wein ab sechzehn«, konterte David und lächelte sie triumphierend an.
»Und Cocktails?«, fragte Hanne.
»Mam, sie sind einfach
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