Das Meer in seinen Augen (German Edition)
und setzte sich neben ihn.
In der Tat war das alles viel. Zu viel, wenn man es genau bedachte. Merlin spürte in sich nur diese ekelhafte Kälte. Wie verdorben musste ein Mensch sein, dass er zu so etwas fähig war? Wie verdorben war er selbst?
»Bist du wirklich in den Jungen verliebt?«
Merlin wusste nicht, was er antworten sollte. Er war sich sicher, dass Paolo ihm einen Strick daraus drehen würde, egal für welche Antwort er sich entschied. Sie waren noch lange nicht fertig miteinander.
»Also wenn du wirklich verliebt bist, willst du das natürlich deiner Mutter sagen. Aber du solltest fair sein, denn immerhin bist du doch ein guter Sohn, nicht wahr? Du kannst nicht nur von deiner Liebe erzählen. Sag ihr auch ein paar Worte von deiner kleinen Affäre.« Paolo seufzte, als fiele ihm das alles schwer. »Wenn du aber nicht wirklich verliebt bist, würde ich mir an deiner Stelle überlegen, ob sich das alles wirklich lohnt. Ich meine, der Junge hat doch selbst gesagt, dass er gar nicht schwul ist. Da scheint es mir fast vergebene Liebesmüh.«
»Im Grunde ...«, fing Merlin an, brach aber schnell wieder ab. Er wollte nichts sagen. Nicht, wenn Paolo so drauf war. Die Situation war eindeutig zu gefährlich.
»Ich weiß, im Grunde suchst du nur Freundschaft«, sagte Paolo verständnisvoll. »Es ist ja auch nicht so einfach, niemanden zu haben, den du lieben kannst.«
»Ich liebe - dich«, sagte Merlin und zuckte innerlich bei diesen Worten zusammen. Er kam sich vor, wie der Ertrinkende, der nach dem letzten bisschen Halt sucht. Nein, er liebte Paolo ganz bestimmt nicht. In den letzten Tagen wandelte sich sein Gefühl für ihn eher ins Gegenteil. Er wollte von ihm los. Irgendwie schien ihm die Flucht nach vorn gar nicht so schlecht.
»Das ist aber süß«, sagte Paolo und lachte. Dann fiel sein Gesicht in eine starre Maske zurück. »Allerdings glaube ich dir kein Wort.« Er stand auf und stellte sich wieder vor ihn. »Du liebst mich nicht, du nutzt mich aus. Du willst Sex von mir, obwohl du weißt, dass du kein Anrecht darauf hast. Du missbrauchst mich - und deine Mutter.«
Die letzten Worte waren zu viel. Merlin konnte die Tränen nicht mehr aufhalten.
»Weinst du, weil ich mich dir nun verweigere?«, fragte Paolo scharf.
Merlin ließ den Kopf hängen. Die Stimme dröhnte in seinem Schädel. Nein, er weinte garantiert nicht, weil sich Paolo verweigerte. Einen flüchtigen Gedanken lang wurde sich Merlin der verdrehten Tatsache bewusst. Der einzige, der sich hier verweigerte, war er selbst. Doch der Gedanke war zu schnell unter den zahllosen Bildern seiner Mutter vergraben, als dass er sich darüber wirklich bewusst werden konnte. Sein Kopf schmerzte. Und plötzlich nickte er.
»Das tut mir leid. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.« Paolo legte ihm die Hand auf den Kopf.
Merlin fühlte die Kälte durch sein Haar dringen und fröstelte.
»Wenn du mich drum bittest, verzeihe ich dir. Du musst mich nur drum bitten.«
Merlin schloss die Augen. Sein Körper schwebte haltlos im Raum. Es fühlte sich an, als sei er schwerelos. Von weit her hörte er sich sagen: »Bitte.« Dann legte er sich zurück, während Paolo ihm die Hose auszog.
Freitag
Lust und Liebe
Dein schüchternes Herz
Auf meiner Brust
Verlangt von mir
Vorsicht
Die ich haben will
Und doch drängt mich
Neben der Liebe
Auch die Lust
M. Nagy
39
David sah auf die Uhr. Es war bereits zehn Minuten vor acht. Irgendwie hatte er gehofft, dass Merlin sich wieder zu ihm auf die Bank setzen würde. Aber nach dem Desaster von gestern konnte er es ihm seine Abwesenheit wohl kaum verübeln. Warum hatte er sich verleugnet? Warum hatte er nicht einfach geschwiegen, damit Merlin es wusste? Natürlich wusste David, dass ihn letztlich die Angst getrieben hatte, Paolo könnte seinen Eltern etwas sagen. Der Gedanke brachte ihn schier um den Verstand. Nein, so fühlte er sich auf jeden Fall sicherer, auch wenn das bedeutete, dass er sich vor Merlin verleugnete.
Allerdings würde es jetzt auch um so schwieriger sein, Merlin irgendwann mal die Wahrheit zu sagen. Aber wollte er das denn überhaupt? Er hatte es genossen, mit ihm zusammen auf dem Bett zu liegen und dieses Kitzeln im Bauch zu spüren, seine Nähe wahrzunehmen, seinen Atem auf dem Gesicht. Merlins vertrauliche Stimme hatte ihm das Gefühl von Sicherheit gegeben. Ja, David war sich sogar sicher, dass sie sich geküsst hätten, wenn nicht Paolo ins Zimmer gestürmt wäre. Er selbst
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