Das Meer in seinen Augen (German Edition)
anschließende Konversation, die letztlich wieder in Sex ausgeartet war - das alles schien ihm eher surreal. Allein der Gedanke an Paolos Worte. Niemals hätte er geglaubt, dass ihn Paolo mal unter Druck setzten würde. Aber gestern hatte er teilweise sein wahres Gesicht gezeigt. Es erschreckte ihn, wie berechnend er an die Sache heranging. Aber viel mehr erschütterte ihn, dass er sich am Ende wieder auf ihn eingelassen hatte. Trotz all der bösen Worte, die vorher gefallen waren, hatte er doch noch mit ihm geschlafen. Und auch wenn er sich am Anfang noch dagegen wehren wollte, es hatte ihm am Ende dennoch gefallen, Paolo zu spüren. Das war das Schlimmste - es machte ihm Spaß.
Als wollte er diese Gedanken abschneiden, drehte er sich um. Die dünne Bettdecke klebte an seinem Körper. Es war nachts eindeutig zu warm. Dann fiel ihm die unangenehme Feuchte zwischen seinen Beinen auf. Er war gestern einfach im Bett liegen geblieben. Wieder drifteten seine Gedanken zu Paolo ab. Er schüttelte den Kopf. Ihm musste diesbezüglich unbedingt eine Lösung einfallen. So jedenfalls konnte es nicht weitergehen. Es war - nicht fair. Tief atmete er durch. In erster Linie dachte er dabei natürlich an David, der unter keinen Umständen erfahren durfte, dass ... Merlin schluckte. Wenn David schon so geschockt war, nur weil Paolo einfach ins Zimmer stürmte, was würde dann erst sein, wenn er ihm von dieser ganz speziellen Beziehung erzählte. Und noch eine Überlegung mischte sich heimlich dazu: Warum dachte er darüber nach, David in sein Geheimnis einzuweihen? Sie waren nicht mal zusammen! Warum er und nicht seine Mutter? Ihm wurde übel. Das war doch eigentlich der Gipfel des Verrats. Er spürte, wie sich Tränen unter seinen geschlossenen Augenlidern sammelten. Ja, er war traurig, dass er zu feige war, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen. Er hatte Angst vor den Konsequenzen, die darauf unweigerlich folgen mussten. Sicherlich würden sie auf der Stelle von hier fortziehen. Noch schlimmer war aber die Vorstellung, dass sie allein weggehen könnte.
»Musst du heute nicht zur Schule?«, fragte seine Mutter plötzlich.
Merlin fuhr mit einem Schrei auf.
»Hey, ganz ruhig, okay?«, sagte sie und grinste ihn an. »Du hast nur verschlafen, kein Grund gleich einen Infarkt zu bekommen.«
»Wie spät ist es?«
»Kurz vor neun.« Selma kam zu ihm hinüber und setzte sich aufs Bett. »Hast du den Wecker nicht gehört?«
Merlin überlegte kurz, dann sagte er: »Ich glaube ich habe ihn erst gar nicht gestellt.«
»Na, dann brauchtest du vielleicht eine kleine Auszeit.«
Merlin runzelte die Stirn. Seine Mutter machte ihm nie Vorhaltungen, wenn er mal zu spät dran war oder überhaupt nicht zur Schule ging. Doch diese Erklärung war neu. Mit einem Mal spürte er, dass sich ein Klos in seinem Hals bildete. Schnell räusperte er sich. »Wie kommst du darauf?«, presste er hervor und versuchte, normal zu wirken. Nur nichts anmerken lassen. Oder - war es vielleicht schon zu spät? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Paolo würde sein Ass bis zuletzt im Ärmel behalten. Merlin bezweifelte, dass seine Mutter, so locker und gefasst sie auch immer war, bei einer solchen Nachricht dermaßen ruhig bleiben könnte.
»Paolo hat gestern mit mir gesprochen«, sagte Selma. Sie sah ihn nicht an.
Merlin schluckte. »Aha«, machte er. Ihm wurde schwindlig, also legte er sich wieder zurück.
»Es tut ihm leid.«
Das Bett drehte sich plötzlich und Merlin hatte das Bedürfnis, sich festzuhalten. Was sollte er sagen?
Selma seufzte. »Ich hätte nicht gedacht, dass er ...«, sie stockte und sah ihn an. »Ist dir nicht gut, Lin?«, fragte sie irritiert und legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Nein«, sagte Merlin. Warum sprach sie eigentlich nur von Paolo und nicht auch von ihm?
»Was hast du denn?« Ihre Stimme klang unerwartet besorgt. »Fieber ist es jedenfalls nicht, du bist kalt wie ein toter Fisch.«
»Mir fehlt nichts«, sagte Merlin
»Aber, du hast doch gerade ...«
»Ja.« Merlin rappelte sich so gut es ging wieder auf. »Ich bin ein wenig - durch den Wind. Ich muss zur Schule.«
»Moment noch«, sagte seine Mutter. »Ich wollte dir doch nur sagen, dass Paolo mir gesagt hat, dass er euch gestern gestört hat. Er hat sich bei mir dafür entschuldigt.« Sie sah ihn gedankenverloren an. »Ich hab ihm extra gesagt, dass du Besuch hast.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Versteh einer die Kerle. Du sagst ihnen etwas und sie haben es
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