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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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er in seiner Hosentasche verschwinden.
    David konnte sich aber noch nicht aus seiner Starre befreien. Er hatte es tatsächlich jemandem gesagt - also, es jemandem zu verstehen gegeben. Sagen war noch etwas anderes. Aber immerhin! Wie aus weiter Ferne betrachtete er Merlin, der nun versuchte, dem Unterricht zu folgen. So, als wäre nichts geschehen. Vollkommen natürlich. David konnte es kaum glauben. Wovor hatte er die ganze Zeit Angst gehabt? Was hätte Merlin denn tun sollen? Er war selbst schwul und hatte eine Mutter, die ihm beibrachte, sich so zu akzeptieren, wie er nunmal war. Für Merlin war Schwulsein nichts Außergewöhnliches. Zumindest nichts, was jetzt auf der Stelle mehr Beachtung bedurfte, als ein Kopfnicken und das Versprechen, dass er für ein Gespräch bereitstand.
    »David, Sie können uns diese Frage sicher beantworten«, sagte Stolte plötzlich.
    David riss sich aus seinen Gedanken los. Völlig perplex registrierte er seine Mitschüler mitsamt Lehrer, die geschlossen eine Antwort von ihm erwarteten.
    »Ich denke«, sagte Merlin plötzlich, »dass Sie die Kirche meinen, oder?«
    Stolte runzelte die Stirn. »Seit wann heißen Sie David?«
    »Oh, Entschuldigung, ich dachte Sie hätten mich gemeint.«
    »Immerhin war es die richtige Antwort«, bestätigte Stolte. »Natürlich war das wichtigste Gebäude im Barock die Kirche.« Er holte zu einem langen Vortrag über Kirchenbau aus.
    »Danke«, flüsterte David erleichtert.
    Merlin zwinkerte ihm zu.
    »Also machen wir doch nicht den Hitlerkram?«
    »Scheint so, was?«

    42

    Merlin war erstaunt, wie einfach es ihm fiel, die sensationellen Neuigkeiten beiseitezuschieben und sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Fast kam es einer Erleichterung gleich. Er hatte nun endlich die Gewissheit, dass er bei David nicht falsch lag, dass sein Verlangen doch eine Chance auf Erfüllung hatte. Das reichte ihm, mehr wollte er nicht. Als die letzte Stunde sich aber dem Ende neigte, brachen doch allmählich die Gedanken an David durch. Plötzlich beschleunigte sich sein Herzschlag und er fühlte sich, als hätte er eine große Gefahr unbeschadet überstanden. Vorsichtig sah er zu David hinüber und beobachtete ihn eine Weile. Niemals hätte er gedacht, dass ihm diese Neuigkeit in der Schule eröffnet werden würde. Wenn Paolo nicht gewesen wäre, hätte er es sicher schon gestern gewusst. Aber dass David es ihm hier in der Schule mitgeteilt hatte, zeigte nur, wie wichtig es ihm war. Kurz dachte Merlin daran, wie sehr sich David zusammengerissen hatte, um ihn auf eine falsche Fährte zu locken. Lediglich den Frauen hatte er nichts vormachen können. Seine Mutter schien eh eine Art siebten Homosinn zu haben. Unglaublich.
    »Ja?«, fragte David leise.
    Merlin bemerkte, dass er ihn immer noch anstarrte. Trotzdem sah er nicht weg. Ihm fiel sofort auf, dass David plötzlich viel gelöster und sicherer wirkte. Er nickte ihm zu und lächelte. David lächelte zurück und plötzlich war Merlin, als säßen sie allein im Klassenraum. Niemand störte sie. Er konzentrierte sich vollkommen auf diese wunderschönen, braunen Augen, die ihn ansahen und ihre neue Freiheit versprühten.
    »Alles okay bei dir?« David sah ihn fragend an.
    »Ja«, antwortete Merlin. »Ich freu mich nur, weil ...« Er sprach nicht weiter. Es schien ihm nicht richtig, Davids Coming Out auszusprechen. Noch wusste er nicht, wie locker er mit diesem Geständnis umgehen durfte. »Ich freu mich einfach«, sagte er also und sah wieder nach vorn. Wahrscheinlich brauchte es noch eine Weile, bis David völlig frei mit seinem Schwulsein umgehen konnte. Er dachte an seine Mutter, die ihn vorsorglich gewarnt hatte, nicht zu viel zu erwarten. Ganz sicher würde sie auch hier recht behalten.
    Es klingelte. Ein paar Minuten später verließen sie das Schulgelände und machten sich auf ihren viel zu kurzen Heimweg.
    »Hast du noch Lust, dich ein wenig auf die Bank zu setzen?«, fragte Merlin vorsichtig. Er wollte David auf keinen Fall unter Druck setzen, aber er war sich bewusst, dass der Impuls schon von ihm ausgehen musste. Sicher würde sich David ganz normal von ihm verabschieden und in sein Haus verschwinden, wenn er ihn nicht sanft zurückhielt.
    »Gern«, sagte David und lief quer über die Wiese.
    Als sie sich kurz darauf auf die Bank setzten kam eine angenehme Brise auf. Wieder fiel Merlin auf, wie schön es doch hier war. Bevor er David kennengelernt hatte, war ihm diese Tatsache überhaupt nicht bewusst

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