Das Meer in seinen Augen (German Edition)
nicht, was er dazu sagen sollte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass diese Frau irgendwie anders reagieren würde, als David es erwartete.
»Lass dir Zeit«, sagte Merlin schließlich noch mal und fügte kurz darauf an: »Und wenn du Probleme hast, komm rüber, okay?«
David nickte.
»Dann lass uns jetzt die blöden Hausaufgaben machen«, sagte Merlin. »Ach ja, und wenn es möglich ist, besorg mir vorher noch was zu Trinken.« Er grinste David keck an.
»Oh.« David lachte auf. »Klar, entschuldige.«
Merlin sah ihm hinterher. Irgendwie fühlte er sich von der ganzen Situation leicht überfordert. Aber machte nicht genau das eine Freundschaft aus, dass man einander zuhörte und half? Er schämte sich für sein zwiespältiges Gefühl. Es war für ihn einfach nicht nachvollziehbar, wie sich jemand so unterbuttern lassen konnte. Vielleicht hatte David letztlich sogar recht mit seiner Feststellung, dass er ein Weichei war. Und trotzdem fand er diesen Jungen mehr als nur anziehend. Er wusste aber, dass es eine Menge Probleme geben würde und leider hatte er keine Ahnung, wie sie die alle umschiffen sollten. An Paolo oder Davids Mutter wollte er gar nicht mal denken. Allein die letzten Minuten standen schon wie eine Wand zwischen ihnen. Wie sollten sie einen gemütlichen Filmabend verbringen, wenn doch Davids Problem mit seinem Schwulsein drückend im Raum stand? Würde es vielleicht am Ende irgendwie blöd aussehen, wenn er mit ihm Sex haben wollte, obwohl David momentan schon genug Sorgen hatte, über die er sich Gedanken machen musste?
David kam wieder zurück. Er trug drei Flaschen im Arm: Wasser, Cola, Fanta. »Ich weiß nicht, was du trinken willst«, erklärte er.
»Wasser«, sagte Merlin gewohnheitsmäßig. »Oder«, er hielt inne, »was trinkst du?«
»Cola«, antwortete David.
»Okay, ich auch.«
David reichte ihm das Glas und goss ein. Merlin nahm einen Schluck und genoss das süße Kribbeln im Mund.
»David?«, fragte seine Mutter wieder und klopfte an.
»Was ist denn schon wieder?«
Sie streckte den Kopf herein. »Was wollt ihr eigentlich essen?«
David zuckte die Achseln. »Müssen wir das jetzt entscheiden?«
»Muss ich vielleicht was vorbereiten?«, fragte sie.
»Nein, lass mal. Wenn wir Hunger haben, machen wir uns was.«
Hanne nickte und verschwand wieder. Merlin hielt sein Glas steif in der Hand. Er verspürte den Wunsch, einfach nach Hause zu gehen und David mitzunehmen. Sie konnten auch drüben einen Film gucken. Und - Merlin schaute in sein Colaglas - er würde gern mit seiner Mutter sprechen. Er sah auf.
»Macht es dir was aus, wenn ...«, er brach ab.
David sah ihn gefasst an. Sicher wusste er schon, was jetzt kommen würde.
»Also, ich will noch rüber.«
David nickte nur. Mit einem Mal fühlte sich Merlin wie ein Riesenarschloch. Wenn er schon jetzt den Schwanz einzog, wie sollte das erst werden, wenn sie mal zusammen waren?
»Ich will noch duschen«, fügte er noch an.
»Klar«, sagte David. »Gehst du jetzt?«
Merlin überlegte einen Moment. In der Tat wäre es taktisch klug, wenn er vor dem Filmabend duschen ging. Er schüttelte den Kopf. »Nein, erst machen wir Mathe.« Er räusperte sich. »Ich geh dann noch zum Sport.« Einen Augenblick überlegte er, ob er David nicht dazu animieren sollte mitzukommen.
»Soll ich einen Film mitbringen?«, fragte er aber stattdessen.
»Klar, bring mit was du sehen willst.« David setzte sich wieder aufs Bett. Diesmal lag aber ein Sicherheitsabstand zwischen ihnen.
»Wegen meiner Mutter, oder?«, fragte er schließlich.
Merlin schluckte. »Ja«, sagte er nach einer Weile. »Aber mach dir deswegen keine Gedanken.« Er legte seine Hand auf die von David. »Sicher wird sie lockerer, wenn ich öfter rüberkomme. Ist vielleicht nur, weil es neu ist, dass du jemanden mitbringst.«
»Vielleicht.«
»Wenn du willst, können wir auch zu mir rüber«, schlug Merlin zaghaft vor.
»Bist du verrückt?« David grinste. »Damit dieser Typ wieder reinplatzt?«
45
Gerade als Selma aus dem Fenster sah, öffnete sich gegenüber die Haustür und Merlin trat aus dem Haus der Gessens. Er sprach noch kurz mit David, dann drehte er sich um und kam auf sie zu. Na, das schien ja doch langsam zu klappen, dachte Selma. Ein paar Sekunden später öffnete sich die Haustür ihres eigenen Hauses und Merlin kam herein.
»Hi Ma!«, sagte er und wollte schon an der Küche vorbeilaufen, als Selma ihn zurückrief.
»Hey, hey, hey, nicht so
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