Das Meer und das Maedchen
wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. Der ganze Raum roch noch nach angebranntem Gumbo, scharf und beißend. Was für ein Schlamassel!
Sie nahm ein Geschirrtuch und trocknete sich die Hände ab. In diesem Moment kam Signe in die Küche, gefolgt von BF , der schließlich unter dem Bett hervorgekrochen war. Er ging zu Mirja und drückte sich an ihre Beine.
Es tut mir leid. Es tut mir so leid wegen des Gumbos , wollte Mirja sagen, aber ihre Stimmbänder gehorchten nicht.
Vielleicht sollte sie erst einmal erklären, dass die Krabben mit ihr gesprochen hatten …
Aber noch ehe sie etwas herausbrachte, hörte sie Signe sagen: „Du musst zu Dogie gehen und ihm das mit den Krabben sagen, Mirja.“
Mirja kniff die Augen zu. Signe hatte natürlich Recht, aber der Gedanke an Dogies Gesicht, wenn sie ihm erzählte, dass sie die Krabben freigelassen hatte, bereitete ihr Bauchschmerzen.
Wieder hörte sie Signe sagen: „Du musst es Dogie sagen.“ Und dann presste Signe zu Mirjas Bestürzung die Finger gegen die Augen und sagte mit einer winzig kleinen Stimme: „Heute sollte alles besonders schön und richtig sein … und jetzt …“
Stille legte sich über die Küche, so dick, dass Mirja sie mit ihren Fäusten hätte bearbeiten können. Selbst das Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, schien in der Stille zu verblassen. Mirja wusste nicht, was sie tun sollte. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. Sie wollte mit Dogie nicht über die Krabben sprechen.
Dann kam von draußen ein vertrauter Schrei: „Komm her! Komm her!“ Es war Captain. Beim Klang der Vogelstimme wedelte BF mit dem Schwanz. „Wuff, wuff!“ Er ging zur Tür und schaute über die Schulter zu Mirja, die wiederum Signe ansah. Signe verschränkte die Arme vor der Brust.
Signe, Captain und BF hatten sich gegen sie verschworen. Es gab kein Entkommen. Mirja musste mit Dogie über die Krabben reden. Ver-flixt!
„Okay, okay“, murmelte Mirja. „Ich gehe schon.“
Als sie mit BF aus der Tür trat, hörte sie Signe noch etwas sagen: „Pass auf den Hund auf! Pass bloß auf, dass er Sindbad nicht jagt.“
„Wuff!“, bellte BF . Er eilte voraus, den Schwanz wie eine Flagge hoch erhoben. Mirja folgte ihm. Über ihnen zog Captain seine Kreise.
„Kommt her! Kommt her!“
31 Draußen setzte sich Mirja auf die unterste Stufe der Treppe und band ihre Schnürsenkel. Sie hatte es nicht eilig, Dogie zu erzählen, was passiert war.
Sie fühlte den stechenden Biss eines Sandflohs auf ihrem Knöchel. Sie hätte Socken anziehen sollen. Durch Socken konnten Sandflöhe nicht beißen. Sie brauchte eine Limo. Sie musste Dogie die Sache mit den Krabben erklären.
Der Bus war nicht weit von dem spukblauen Haus entfernt. Vielleicht hundert Meter, wenn überhaupt. Dogie hatte eine Kühltruhe voller eisgekühlter Limonade.
Mirja fragte sich, ob er ihr eine Flasche Dr. Pepper geben würde, so wie sonst, wenn er erst gehört hatte, was sie ihm sagen musste.
Bei Signe bekam sie nie Limonade. „Da ist doch nur Zucker drin“, sagte sie, als ob Zucker etwas Schlechtes war. Mirja mochte Zucker, aber wenn man Signe so reden hörte, konnte man glauben, dass Zucker genauso schlimm war wie eine Ölpest oder so etwas Ähnliches, dass Zucker ganze Landstriche verwüsten konnte, ganz abgesehen von ihrer Gesundheit. Die Limonade war ein Geheimnis zwischen Dogie und ihr. Außerdem war sie jetzt seine Mitarbeiterin, sein Seidensänger, und sie betrachtete die regelmäßige Flasche Dr. Pepper als Teil ihrer Bezahlung, auch wenn sie sie nicht in ihre Geldbörse stecken konnte. Die Geldbörse mit den zweiundvierzig Dollar erinnerte Mirja daran, dass Signe ihr gesagt hatte, sie solle das Geld für schlechte Zeiten sparen. Nun, die schlechten Zeiten waren jetzt wohl da. Kein Gumbo in einer Nacht des blauen Mondes. Und alles wegen dieser verdammten, verdammten Krabben, über die sie mit Dogie sprechen musste und außerdem, Mannomann …
Mirjas Magen knurrte. Sie hatte noch nicht gefrühstückt. Von einem Mittagessen ganz zu schweigen. Ein kleines Loch öffnete sich in ihrem Inneren. Sie hatte keinen richtigen Hunger, aber der Gedanke an eine Limonade wurde immer verlockender. Vielleicht würde Dogie nur ein kleines bisschen sauer sein und ihr trotz allem eine spendieren. Sie stand auf und ging über den Vorplatz. BF folgte ihr.
Und dann hörte sie von der anderen Straßenseite einen vertrauten Klang: Sindbads tiefe, kehlige Stimme.
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