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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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Signe hatte sie nicht losgelassen.
    Ein Geschenk. Mirja. Mirja.
    Mirja erinnerte sich gut, obwohl es schon so lange her war.
    Und sie erinnerte sich an noch etwas: Signe hatte geweint.
    28 Wenn ein Mädchen im Meer geboren wird, dann weiß es alles über Lederkorallen und Königsfische. Es weiß alles über Seesterne und Seetang und Sand. Und über Austern und Salzgras und Sonnenbarsche. Über all diese Dinge weiß es Bescheid.
    Signe wusste auch vieles, obwohl sie nicht im Meer geboren worden war. Sie wusste, wie man Mirjas Haar flechten musste, damit sie an heißen Tagen den Nacken frei hatte. Sie wusste, wie man den gebrochenen Flügel einer Möwe in ein Geschirrhandtuch wickeln musste und wie man Dornen und Kletten aus BF s Fell klaubte. Sie wusste, wie man Mr Beauchamp dazu brachte, sich die Treppe zu seinem Haus hinaufhelfen zu lassen, obwohl er behauptete, er brauche keine Hilfe. Und sie wusste, an welchen Abenden sie mit Dogie auf der Veranda sitzen und die aufziehende Nacht betrachten konnte. Sie wusste, dass sie eine Extraschicht in der Prince Oyster Bar arbeiten musste, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte, damit sie ein pinkfarbenes Band für ihr Mädchen kaufen konnte.
    Was sie nicht wusste? Dass Mirja mitten in der Nacht draußen am Anleger im Boot saß.
    29 Während das Wasser unter dem Flitzer stieg, rollte eine weitere Welle gegen den Rumpf. Diese war stärker als die letzte. Das Boot schaukelte und stieß wieder gegen den Anleger.
    BF kläffte ihn an.
    Mirja rieb seine Ohren. „Pst!“, ermahnte sie ihn. „Das ist doch bloß die Flut.“
    Obwohl BF nicht überzeugt war, legte er sich wieder zu ihren Füßen nieder.
    Armer BF , dachte sie. Er war wirklich nicht seefest. Nicht wie Sindbad, der die sieben Meere befahren hatte, wenn man Mr Beauchamps Erzählungen Glauben schenkte. „Er stammt von Piratenkatzen ab“, behauptete der alte Mann.
    BF hatte kein einziges Meer befahren. „Sindbad!“, grummelte Mirja. Dann schaute sie BF an und erklärte: „Er ist eine Wachswarze.“ Das war Surfersprache für einen besonders großen Klumpen Wachs auf dem Brett. Natürlich musste das Wachs klumpig sein, aber wenn ein großer Klumpen an der falschen Stelle saß, war das eben eine Wachswarze.
    Und Sindbad war heute wirklich eine Wachswarze gewesen. Sie bekräftigte es noch einmal: „Er ist eine Wachswarze.“
    Sie wollte wütend auf den alten Kater sein, aber es war schwer, einem Tier zu grollen, das nur noch ein Auge hatte, zumal dieses Auge die Farbe wechseln konnte. Es war mal grün, mal blau, je nach Gelegenheit oder Jahreszeit. Und manchmal, an trüben Tagen, war es sogar grau.
    Nein. Mirja war nicht böse auf Sindbad. Oder auf BF . Oder auf Captain, obwohl alle drei an der großen Katastrophe mitgewirkt hatten.
    Aber die Krabben? Denen konnte sie die Sache nicht verzeihen. „Verdammte Krabben!“
    Und Mr Beauchamp würde niemandem verzeihen können. Das wusste sie genau.
    Mirja rieb sich die nackten Knie. Ihre Finger fuhren über die hubbeligen Konturen ihrer Kniescheiben. Sie hatte ihre Knie schon unzählige Male genau unter die Lupe genommen. Meerjungfrauen hatten keine Knie. Mirja schon. Sie waren ein Teil von ihr, das ließ sich nicht leugnen. Als sie an ihre Knie dachte, kam ihr Mr Beauchamp in den Sinn, der vor seinen Blumen kniete, was sie wiederum an Dogie erinnerte, der auf seiner Ukulele spielte. Und daraufhin musste sie an Signe denken, die geweint hatte.
    Heute war der schlimmste Tag ihres Lebens gewesen.
    30 Es war schlimm genug, dass die Holzschale zerbrochen war, aber auch der Kochtopf war ruiniert. Mirja hatte eine Stunde lang an der schwarzen Kruste auf dem Topfboden herumgeschrubbt und -gekratzt. Ihre Finger waren verschrumpelt und ihre Arme schmerzten vom vielen Putzen. Ihr neues T-Shirt, ein knallig pinkfarbenes T-Shirt mit Dogies Werbeslogan – „Die besten Bretter gibt’s im Bus“ – war klatschnass und roch nach Gumbo. Besser gesagt: nach angebranntem Gumbo.
    Aber so kräftig Mirja auch schrubbte, es gelang ihr nicht, die angebrannte Schicht vom Topf zu entfernen. Irgendwann warf sie die Bürste in die Spüle. Sie hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen wegen des Gumbos und der Holzschale. Verflixt! Mirja wischte sich mit dem Saum ihres T-Shirts das Gesicht ab. Es roch neu, trotz des Gumbogestanks.
    Sie betrachtete die Haut an ihren Fingerspitzen. Sie war nicht nur wellig, sondern auch ganz wund vom Schrubben. Sie schob sich die Haarsträhnen hinter die Ohren und

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