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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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BF ihn nicht entdecken.
    Vielleicht konnte sie ihn noch rechtzeitig einfangen.
    Vielleichtvielleichtvielleicht …
    Aber BF war zu schnell. Er raste an ihr vorbei, die Verandastufen hinauf, geradewegs durch die zarten Rosen und den stacheligen Kaktus, die Pflanzen, die Mr Beauchamp liebte und die gefährlich nahe am Rand der Veranda standen, drei Meter über dem Boden – viel zu hoch, als dass blühende Pflanzen einen Sturz überlebt hätten.
    Trotzdem brüllte Mirja: „Nein, BF ! Neeeeeeiiiiiiiin!“
    KRACH ! PENG ! SPLITTER !
    Am Fuß der Veranda erstarrte Mirja zu Eis. In ihrer Kehle, ihrer Lunge und in ihrer Brust gefroren haufenweise Oh-Neins, bevor sie an die Außenwelt dringen konnten. Topf für Topf krachten Mr Beauchamps wunderschöne Blumen – sein nachtblühender Kaktus, die orange- und pinkfarbenen Teerosen – auf die Einfahrt aus Muschelschalensplittern. Mirja wartete nicht, bis sie alle unten waren, sondern rannte schnurstracks – zwei Stufen auf einmal nehmend – zur Veranda hinauf und packte BF am Halsband. Er wedelte mit dem Schwanz. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Sein Fell war gesträubt.
    Sie hätte schwören können, dass er grinste.
    Auf dem Verandageländer leckte sich Sindbad seelenruhig die Pfoten.
    Mirja zerrte an BF s Halsband. Sie musste weg von hier, bevor … zu spät!
    Mr Beauchamp öffnete die Tür. Wieder erstarrte Mirja. Zwei Sekunden später hörte sie, wie Mr Beauchamp aufschrie: „Ohh …!“
    Mit einem Ruck zerrte Mirja BF die Stufen hinunter, Mr Beauchamp dicht hinter sich. Und da, am Fuß der Treppe, lagen die geliebten Pflanzen, zerschmettert und zerstört. Mirja konnte sich nicht rühren. BF drückte sich an sie. Sie wollte den Hund loslassen und Mr Beauchamp umarmen, den Großvater, der nicht ihr echter Großvater war. Aber sie fühlte sich bleischwer, wie festgeklebt.
    Sie konnte bloß dastehen und BF festhalten und zuschauen, wie Mr Beauchamp sich vor seine Blumen kniete.
    Und dann, wie aus dem Nichts, tauchte Signe auf. Ihr Gesicht war eine einzige Gewitterwolke, ihr weißes Haar gleißend hell in der Morgenhitze. Und aus einem unerfindlichen Grund deutete Mr Beauchamp mit dem Finger auf sie, als ob es Signes Schuld wäre, wo es das doch ganz und gar nicht war. Signe hatte zu Mirja gesagt: „Pass auf den Hund auf.“ Fünf kleine Worte.
    Mirja sah reglos zu, wie Signe einfach an ihr vorbeiging und die Arme nach Mr Beauchamp ausstreckte, der sich zitternd krümmte. Sie sah zu, wie sie ihm langsam die Stufen hinaufhalf und ihn in seinen Schaukelstuhl auf der Veranda setzte, sah zu, wie Mr Beauchamp sich zurücklehnte, das Gesicht eine Kraterlandschaft aus Traurigkeit.
    Dann hörte sie den alten Seemann, den Großvater, der nicht ihr echter Großvater war, sagen: „Warte nicht länger, mon amie . Warte nicht länger.“ Er sagte es zu Signe.
    Und beiden liefen die Tränen über die Wangen.
    33 Warten. Warten ist schwer. Mirja hatte bei Punkt D geschrieben: auf die Flut warten . Aber sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sie so lange würde warten müssen. Jetzt, während sie im Flitzer saß, überlegte sie kurz, ob sie den Mond anbrüllen sollte, damit er sich gefälligst etwas beeilte. Aber damit würde sie nur Signe wecken, was nicht in ihrem Plan vorgesehen war. Siehe Punkt A.
    So bald wollte Mirja Signes wütendes Gesicht nicht wiedersehen. Oder ihr trauriges Gesicht.
    Ihre Tränen.
    Gab es etwas Schlimmeres?
    Nun, ja.
    Ja, das gab es. Wenn Signe sie anschrie, das kam ihr irgendwie viel schlimmer vor. Andererseits, wenn sie weinte …
    Und dann war da noch Dogies Gesicht.
    Mirja schlug die Hände vor ihr eigenes Gesicht. Dogies Gesicht war mehr als traurig gewesen. Es war wie zerschmettert … wie die Blumen … wie …
    In dem Augenblick, in dem Mr Beauchamp mit dem Finger auf Signe gezeigt hatte, war Mirja davongerannt. Sie war gerannt und gerannt und gerannt, geradewegs zum Bus, BF an ihrer Seite.
    „Da k…k…kommt ja mein M…Mädchen“, hatte Dogie gesagt, als sie um die Ecke bog. Dogies Fröhlichkeit mutete inmitten all des Chaos seltsam an. Mirja blickte zu Boden. Sie musste es ihm sagen. Sie holte tief Atem, aber sie hatte Angst, dass sie anfangen würde zu weinen, wenn sie nur einen Ton herausbrachte, und so nickte sie bloß.
    Dogie griff in die Kühlbox, zog eine Limonade heraus und reichte sie ihr. Ohne ihm ins Gesicht zu schauen, nahm Mirja die eiskalte Flasche in eine Hand und schob mit der anderen eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.
    Dann sah sie

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