Das Meer und das Maedchen
„Miiiiiiiaaaaaaaauuuuuu!“
32 „Pass auf den Hund auf.“ Fünf kleine Worte. Pass. Auf. Den. Hund. Auf.
Aber als Mirja die Treppe hinunterging, BF an der Seite und Captain über ihrem Kopf, um Dogie von den Krabben zu erzählen, dachte sie an die zweiundvierzig Dollar, die sie gespart hatte, und sie überlegte, dass sie vielleicht – vielleicht – Signe die zerbrochene Schale ersetzen konnte.
Reichten zweiundvierzig Dollar für eine Holzschale aus? Mirja wusste, dass man dafür ein Cordjackett für Herren kaufen konnte. Ein Cordjackett …
Mirja dachte nicht mit einem einzigen Wort an BF . Geschweige denn mit fünf Worten.
„Komm her! Komm her!“ Captain! Er flog in weiten Kreisen über die Häuser.
Sie folgte ihm mit den Augen und dabei fiel ihr Blick auf Mr Beauchamps Teerosen. Sie standen in voller Blüte, strahlend schön in der warmen, salzhaltigen Luft. Mirja fühlte einen Anflug von Stolz, weil sie mitgeholfen hatte, diese Rosen zu pflegen. Die Rosen waren genau wie diejenigen, die in Mr Beauchamps Heimat wuchsen. Französische Rosen! Er hatte ihr gezeigt, wie man sie beschnitt, und ihr erklärt, wie viel Hornspäne sie zum Düngen verwenden und wie viel Wasser sie in die wunderhübschen Töpfe gießen musste.
„Hüterin der Blumen“, hatte er sie genannt.
Während sie die leuchtend orange und rosa gefärbten Blüten betrachtete, erwachte eine kleine Knospe der Hoffnung in Mirja. Vielleicht erlaubte Mr Beauchamp ihr ja, Signe ein paar davon zu bringen. Rosen würden ihr bestimmt gefallen.
Aber gerade als Mirja über die Straße gehen wollte, sprang Sindbad auf das Verandageländer und machte einen Buckel. Er fauchte und funkelte sie mit seinem guten Auge an.
Kaum etwas konnte so bösartig aussehen wie Sindbads gesundes Auge, besonders, wenn er dabei knurrte und fauchte, wie er es gerade tat.
Mr Beauchamp behauptete, Sindbad sei die letzte in einer langen Reihe von Piratenkatzen. Seine Ururur-ururururgroßeltern seien mit dem berüchtigten französischen Freibeuter Jean Lafitte gesegelt, damals, Anfang des 19. Jahrhunderts. Behauptete Mr Beauchamp.
Wer wusste schon, warum sie alle mit nur einem einzigen Auge geboren wurden? Manche erzählten, es hätte ihnen geholfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wenn man etwas genau fixieren will – beispielsweise eine Ratte – ist es manchmal hilfreich, ein Auge zuzukneifen, um die Beute besser aufs Korn nehmen zu können. Vielleicht hatten diese Piratenkatzen so oft ihr eines Auge zugekniffen, dass ihre Nachfahren irgendwann mit nur einem sehenden Auge geboren wurden.
Für Mirja spielte es keine Rolle, dass Sindbad nur ein Auge hatte oder dass er der Abkömmling von Piraten war. Was eine Rolle spielte, war der Umstand, dass er es liebte, BF zu ärgern. Das führte zu verrückten, wilden Hetzjagden, bei denen Dinge umgeworfen oder verschüttet wurden. Irgendetwas an Sindbads Gefauche und Geknurre trieb BF buchstäblich in die Raserei.
Aber an diesem Morgen achtete Mirja nicht auf Sindbad und auch nicht auf BF . Sie dachte nur daran, wie wunderschön die Teerosen waren und wie sie Signe damit besänftigen würde.
Und sobald sie Signe diese Rosen gebracht hatte, würde sie zu Dogie gehen und ihm von den Krabben erzählen. Er würde es verstehen. Da gab es überhaupt keinen Zweifel. Dann würde im kleinen Universum wieder die alte Ordnung herrschen.
Mirja war mit ihren Gedanken voll und ganz bei den Krabben, Rosen und bei Dogie, sodass sie nicht bemerkte – nicht bewusst bemerkte – was Sindbad vorhatte.
Eine Sekunde. Das genügte. Eine einzige Sekunde, in der sie nicht auf den Hund aufpasste, und das war’s. In weniger Zeit, als man für einen Wimpernschlag braucht, erkannte sie die Katastrophe – genau in dem Moment, in dem sie ihren Lauf nahm.
„Oh nein!“, sagte sie.
Zu spät.
BF . Die Abkürzung für Bester Freund. Aber in dem Augenblick eher die Abkürzung für Besonders Frech.
Captain, der Antreiber.
Und Sindbad, der Hinterlistige. Er liebte es, BF anzustacheln und ihn derart in den Wahnsinn zu treiben, dass alles in einer absoluten KATASTROPHE endete.
SOS ! SOS ! SOS !
Ganz plötzlich beschleunigte BF von null auf hundert und raste Sindbad hinterher, während Captain ihn wie ein Cheerleader von der Seitenlinie aus anfeuerte: „Komm her! Komm her!“ Mirja sah Sindbad zwischen den Töpfen kauern, in denen die herrlichen Rosen von Mr Beauchamp wuchsen – und sein kostbarer nachtblühender Kaktus.
Vielleicht würde
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