Das Meer und das Maedchen
überrascht, als sie ihn verließ. Aber Dogie war Meggie Marie dankbar. Dankbar aus zwei wichtigen Gründen. Erstens hatte sie Signe in das Haus an der Oyster Ridge Road gebracht. Und zweitens hatte sie Mirja das Leben geschenkt.
Beide Gründe waren außerordentlich bedeutsam.
Ihretwegen hatte Dogie sein wahres Herz gefunden.
Er stimmte die Ukulele und lächelte. Dann sang er aus voller Kehle sein Lied, das nur aus zwei Worten bestand. Zehn Jahre. Zehn Jahre hatte er gewartet, um Signe dieses Ständchen zu bringen. Aber er liebte sie, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte.
35 Mirja konnte rennen wie der Wind. Ihre langen Beine trugen sie in wilder Jagd über den Strand, aber gegen die beiden Hunde und die Möwe hatte sie trotzdem keine Chance. Es dauerte nicht lange, da verlangsamte Mirja ihr Tempo und ließ die Tiere vorausziehen. Sie fiel in einen leichten Trott und schnappte nach Luft. Dann blieb sie stehen und schaute hinaus zur Sandbank.
Zwei braune Pelikane hockten auf dem kleinen Stück Land. Von Mirjas Position aus wirkte es so, als würden die Vögel auf dem Wasser stehen.
Jeder, der schon einmal an einem Sandstrand gestanden hat und die Füße von den Wellen umspülen ließ, kennt die Anziehungskraft des Meeres. Wie sie so dastand, spürte Mirja zum vermutlich millionsten Mal diesen Sog, diesen lockenden Ruf des Ozeans.
Mirja schaute zur Sandbank. Sie war schon mal dort gewesen. Sie erinnerte sich an die Gischt auf ihrem Gesicht und an die kalte Luft. Sie konnte förmlich fühlen, wie das Salz in ihren Augen brannte. Es war der letzte Ort, an dem sie ihre Meerjungfrauenmutter gesehen hatte.
Seitdem war Mirja nicht mehr dort gewesen. Signe hatte ihr eingeschärft: „Mach das nie wieder“, und daran hatte sie sich gehalten. Es war ein Versprechen, das sie gegeben hatte, als sie drei Jahre alt gewesen war.
Aber das hinderte sie nicht daran, sich zu wünschen, dort zu sein. Vom Strand aus wirkte die Sandbank ganz nah. Es sah so aus, als ob man sie mit ein paar Dutzend Schwimmzügen erreichen könnte.
Mirja trat einen Schritt ins Wasser, aber da hoben die beiden Pelikane, die auf der Sandbank gesessen hatten, ab und flogen in den Himmel hinauf. Ihre rauen Schreie rissen sie aus ihren Gedanken.
Mirjas Schuhe waren völlig durchgeweicht. Signe würde böse sein. Noch böser! Mirja wandte sich entschlossen vom Wasser ab. Es war höchste Zeit, dass sie Dogie erzählte, was sie getan hatte. Sie zog ihre nassen Schuhe aus und schüttelte sie. Sie hoffte nur, dass Dogie sie verstehen würde.
36 Dogie sah Mirja und den Tieren entgegen. BF trottete voraus. Dann kam Zwei. Captain ließ sich auf einer hölzernen Armlehne des Liegestuhls nieder und Dogie rückte ein Stück zur Seite.
„G…g…ganz langsam, Vogelmann“, sagte Dogie. Captain fand das Gleichgewicht und plusterte sein Gefieder auf, als wollte er sagen: Kein Grund zur Sorge . Dogie lachte und hielt ihm einen Käsecracker hin. Captain zog Wassermelone vor, aber Dogie hatte im Augenblick nur Käsecracker. Der Vogel schnappte sich das Gebäckstück aus Dogies Fingern.
Die Hunde streckten sich in dem kühlen, schattigen Sand unter dem Bus aus. Sie hechelten von dem schnellen Lauf. Wenn Dogie sich bückte, konnte er die rosigen Zungen sehen, die ihnen weit aus den Mäulern hingen. Er füllte eine Schale mit Wasser und stellte sie in den Schatten. „Jep, jep, jep!“, rief Zwei, als ob er sich bedanken wollte.
„Komm her! Komm her!“ Die Möwe plusterte sich wieder auf.
Dogie hielt ihr einen zweiten Käsecracker hin. Captain nahm ihn in den Schnabel, hopste zu Boden und watschelte unter den Bus zu den Hunden.
Aus dem Augenwinkel sah Dogie Mirja auf den Bus zukommen. An der Art, wie ihre Füße durch den Sand schlurften und sie den Kopf hängen ließ, erkannte er nun ohne Zweifel, dass etwas nicht in Ordnung war. Er nahm seine Ukulele, lehnte sie aber dann gegen den Liegestuhl, neben die Schachtel mit den Käsecrackern, und ging Mirja entgegen.
Als er näher kam, schaute sie auf. Sie sah ihm in die Augen. Groß und schmal war sie, voller Wind und Sonne und Sand und dem ganzen wunderbaren Tag. Dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, warf sie sich in seine Arme und eine Flut aus Entschuldigungen brach aus ihr hervor. „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid …“ Dogie kniete sich hin und schlang seine Arme um sie. So viele Bitten um Vergebung. Er konnte sie gar nicht zählen.
37 Nachdem Captain unter den Bus gewatschelt war,
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