Das Meer und das Maedchen
es ein leckeres Frühstück für Captain, vielleicht ein Stück Honigmelone oder einen Cracker.
Wenn er es noch einmal sagte: „Komm her, komm her“, dann gab Mirja ihm manchmal etwas anderes, eine Erdbeere oder einen Kartoffelchips oder seinen allerliebsten Lieblingssnack, diese herrliche, köstliche, unglaublich aromatische, fantastische, leckere – mmh! – Wassermelone!
Captain liebte Wassermelone.
Oh ja. Für ein großes, saftiges Stück Wassermelone würde er fast alles tun. Alles, alles, alles.
Eigentlich war es nur der Wassermelone zu verdanken, dass er überhaupt wieder fliegen lernte. Nachdem seine Verletzung verheilt war, hatte Mirja ihn unter den Arm geklemmt, ihn die Verandastufen hinuntergetragen und dann auf den Boden gesetzt. Signe war oben geblieben und hatte kleine Happen Wassermelone – rot und saftig – in einer Reihe auf das Geländer gelegt. Es waren etwa vier Meter vom Boden bis zum Verandageländer. Von seinem Platz aus konnte Captain die strahlend roten Leckerbissen sehen. Er konnte ihren Saft und ihre Süße riechen.
Er rief: „Komm her, komm her!“ Was heißen sollte: „Komm her und wirf mir die Wassermelone zu!“ Aber statt seiner Aufforderung zu folgen, drehte sich Signe um und ging ins Haus. Mirja kniete sich hin und flüsterte ihm zu: „Wassermelone, Captain!“ Sie streichelte über seinen Rücken und zog sanft seine Flügel auseinander. Dann sagte sie nur ein Wort: „Flieg!“ Und bevor er noch an seinen schmerzenden Flügel denken konnte, bevor er überhaupt an irgendetwas denken konnte, hatte er sich in die Luft erhoben und flog.
Es war kein hübscher Anblick. Von geradeaus fliegen konnte keine Rede sein. Aber er flog. Und er fraß alle Stückchen auf.
Und wenn heute jemand zu ihm sagte: „Wassermelone, Captain“, dann steuerte er geradewegs auf die Veranda des spukblauen Hauses zu. Und fast immer wartete dort auch ein Stück der roten, saftigen Frucht auf ihn.
Aber jetzt war sein Mädchen nicht auf der Veranda. Sein Hund auch nicht. Sie waren beide hier draußen in einem Boot. Im Becken. Er peilte sie an und verlagerte sein Gewicht, wie er es immer tat, wenn er landen wollte. „Komm her, komm her!“, rief er.
Und im Sturzflug sauste er nach unten.
45 Mirja duckte sich gerade noch rechtzeitig, bevor das flatternde Bündel aus weißen und schwarzen Federn die Krallen in sie bohren konnte. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, während Captain tollpatschig auf BF s Rücken landete. BF jaulte auf.
BF war es gewohnt, dass Captain ihn als Start- und Landebahn benutzte, aber er duldete es nicht widerspruchslos. Trotzdem war er heilfroh, den Vogel zu sehen. Im Licht des immer höher steigenden Mondes konnte Mirja BF s glücklichen Gesichtsausdruck erkennen.
Doch sie hörte auch die Wellen, die immer lauter wurden. Das Boot trieb immer näher an sie heran. Ganz plötzlich kroch eine kleine Spinne aus Angst ihren Rücken hinauf. Wenn sie sich beeilte, konnte sie noch umkehren. Noch war Zeit.
Sie zog die Riemen der Schwimmweste fester um ihre Brust. Die Außenhaut aus Segeltuch kratzte unter ihren nackten Armen.
Sie sah BF und Captain an. Die Angstspinne rutschte den Rücken wieder hinunter. War es richtig, einen wasserscheuen Hund aufs offene Meer zu zwingen? Noch dazu mitten in der Nacht?
BF stupste sie mit seiner nassen Nase an und leckte ihr übers Handgelenk. Mirja wischte es an dem rauen Stoff der Schwimmweste ab.
Dann kam ihr ein Gedanke. Wieso hatte sie nicht schon früher daran gedacht?
„Du brauchst eine Schwimmweste“, sagte sie zu ihm.
Als ob er genau verstanden hätte, was sie meinte, schüttelte er den Kopf so heftig, dass ihm die Ohren gegen die Mundwinkel klatschten. Sie lehnte sich nach hinten, um dem Sabber zu entkommen, den er dabei in alle Richtungen verspritzte.
Oh nein! , schien er zu sagen.
„Oh ja“, erwiderte Mirja. „Du brauchst eine Schwimmweste.“ Und schon zog sie die zweite Schwimmweste, die von Dogie, unter dem Sitz hervor. „Wenn ich eine habe, ziehst du auch eine an.“
Dogies Schwimmweste war nicht gelb, wie ihre eigene, sondern knallorange und etwa zweimal so groß. Sie hob BF s Vorderpfoten eine nach der anderen hoch und schob sie in die Armausschnitte der Weste. Dann zog sie die Riemen, so fest, wie sie konnte. Ihre Handflächen schmerzten dabei, aber nach kurzer Zeit war er gut verschnürt. „So“, sagte sie.
BF winselte unglücklich. Dann versuchte er die Weste abzuschütteln. Sie war ihm viel zu groß
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