Das Meer und das Maedchen
und hing ihm zwischen den Beinen, wenn er aufstand. Aber er bekam sie nicht los. Mirja beobachtete ihn und war zufrieden.
„Setz dich hin!“, befahl sie, und als er gehorchte, schob sich der starre Rücken der Weste über seinen Hinterkopf.
Sie konnte nicht anders, sie musste lachen.
„Du siehst aus, als hättest du eine Dackelgarage auf dem Rücken“, sagte sie. Den Begriff hatte sie von Dogie, der ihr von den Zelten bei der Armee erzählt hatte. Dann fügte sie hinzu: „Du musst genauso vorsichtig sein wie ich.“ BF schien nicht von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugt zu sein. Er warf sich der Länge nach hin und seufzte. Captain, der hochgeflattert war, ließ sich wieder auf seinem Rücken nieder und machte es sich bequem.
Dass sie BF mit einer Schwimmweste versorgt hatte, gab Mirja ein gutes Gefühl. Die Angstspinne war verschwunden.
46 Während das Boot langsam über das Wasser dahinglitt, wurde Mirja sanft geschaukelt. Einen Augenblick fühlte sie sich mit dem kleinen Universum fest verbunden, mit dem harten Holz des Bootes unter ihren Füßen und mit den Sternen über ihrem Kopf. Ganz plötzlich war ihr, als hörte sie wieder ihren Namen.
Mirja. Mirja.
Dann erinnerte sie sich an ein Lied, das ihre Mutter ihr immer vorgesungen hatte.
Du bist mein kleines Meermädchen – da war sie, Meggie Maries Glockenstimme in ihrem Ohr.
Und ich bin deine Meermama.
Ja, ein altes Kinderlied gehörte zu den wenigen Erinnerungen, die sie an ihre Mutter hatte.
Schwimm, mein kleiner Wassergeist,
von Neuseeland nach Bahama.
Du bist mein kleines Meermädchen
und ich bin deine Meermama.
Der Vers weckte eine Erinnerung. Das Boot und das Wasser, die Stimme ihrer Mutter und die tiefe, tiefe Dunkelheit.
Dann wehte eine Brise heran und brachte eine Frage mit: Wo ist Signe?
Mirja kratzte sich am Arm, wo sie gerade von einer Mücke gestochen worden war. Signe schlief natürlich. Sie lag in dem spukblauen Haus und schlief.
47 Das spukblaue Haus. Signe hatte es so angestrichen. Signe, die jetzt darin wohnte. „Um den Spuk abzuwehren“, hatte sie scherzhaft gesagt.
Davor war es grau gewesen, grau wie ein Sturmhimmel. Sand und Wind hatten in jahrelanger harter Arbeit den ursprünglichen Anstrich abgeschmirgelt. Niemand wusste, welche Farbe das Haus einmal gehabt hatte. „Farbe hat keine Chance gegen Sand“, hatte Signe gesagt.
Spuk. Signe hatte dieses Wort für Geist zum ersten Mal gehört, als sie in den Süden gefahren war. Vielleicht fand man Spuks auch in Iowa, wo sie aufgewachsen war, vielleicht aber auch nicht. Sie hatte sowieso noch nie an Geister geglaubt, also spielte es keine Rolle.
Das alte Haus brauchte einen neuen Anstrich. Das war alles. Wenigstens von außen. Innen war das Haus noch genauso, wie Meggie Maries Großmutter es zurückgelassen hatte. In den Küchenschränken stapelte sich das weiße Geschirr mit dem Rand aus blauen Glockenblumen. An den Wänden reihten sich Regale aneinander, in denen dicht gedrängt uralte Bücher standen, meistens von viktorianischen Schriftstellern, aber auch der eine oder andere Reisebericht. Letzteres hatte Signe etwas verblüfft, weil Mr Beauchamp ihr erzählt hatte, dass Mirjas Urgroßmutter niemals irgendwohin gereist war, außer nach Tater und zurück.
Die alte Frau hatte nicht viele Kleider besessen, aber was sie hatte, hing immer noch in den Wandschränken, ganz in der hintersten Ecke, damit Signe und Mirja Platz für ihre eigenen Sachen hatten. Und für Meggie Maries. Auch ihre Kleider hingen noch hinten im Schrank.
Manchmal, wenn Signe sich einen Tag von ihrer Arbeit in der Prince Oyster Bar freinehmen konnte, brachte sie eines dieser alten Kleidungsstücke – eine Bluse oder einen Rock – in Taters Second-Hand-Laden, um es gegen etwas für Mirja einzutauschen. Ein ständig wachsendes Mädchen braucht viele Kleider.
Im Badezimmer lagen weiche weiße Baumwollhandtücher auf den Regalen und noch weichere Laken für die Betten. Die Fenstersimse waren mit Muscheln und Seesternen dekoriert und an den Fenstern hingen gelbe Vorhänge. Alles war sauber und ordentlich.
Als Mirja einmal fragte, ob die Farbe tatsächlich Spuks abwehren konnte, hatte Signe mit den Schultern gezuckt und Mirja die Antwort gegeben, die sie für solche Gelegenheiten stets parat hatte: „Das weiß nur der Himmel.“
Als Mirja geboren wurde, war Signe erst fünfzehn. Drei Jahre später, als Signe achtzehn war, verschwand Meggie Marie.
Und nicht lange danach hatte Signe das
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