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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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hurra!
    „Komm her! Komm her!“, schrie er. Es gab genug Elritze für alle.
    42 Unten auf dem Wasser zerrte Mirja an den Rudern. Wenn sie das Boot nicht wenden konnte, würde der flache Kiel des Flitzers unweigerlich auf Grund laufen, sobald das Wasser sich wieder zurückzog. Dann säße sie fest zwischen dem scharfblättrigen Gras im dicken, saugenden Morast.
    Ein Mädchen, das am Rand eines Salzgrassumpfs aufwächst, kennt die Geschichten über die Bewohner dieses Sumpfes. Es gab hier nicht nur Trillionen von Schlangen und Echsen. Am schlimmsten waren die Geierschildkröten. Und obwohl Mirja noch nie eine von Nahem gesehen hatte, wusste sie Bescheid. Sie hatte die knorrigen Schnäbel und die gezackten Panzer gesehen. Sie wusste, dass diese Schnäbel einen Finger oder einen Zeh mühelos abtrennen konnten. Allein bei dem Gedanken lief ihr ein Schauer über den Rücken.
    Und was war mit BF s Zehen?
    „Keine Zehen!“, schrie sie. Sie würde diesen blöden Schildkröten keinen einzigen Zeh opfern. Weder ihre eigenen noch einen von BF . Keinen einzigen Zeh!
    Sie zog und zerrte an den Rudern, so fest sie konnte, aber das Boot trieb immer noch auf das drohende Ufer zu. Als ob ihr die Flut einen Streich spielen wollte, rollte eine weitere Welle heran, hob das Boot hoch und trug es ein Stück weiter – in die falsche Richtung.
    Sssswusch!
    Es schien Mirja so, als flöge das Boot regelrecht auf den Sumpf zu. Sie grub das rechte Ruder ins Wasser und ruderte mit dem linken wie verrückt. Zack, zack, zack.
    „Drrrrrrrreeeh um!“, befahl sie dem Boot. Sie ruderte mit aller Kraft. Jeder Muskel ihres Körpers war gespannt wie die Saiten auf Dogies Ukulele.
    „Drrrrrrrreeeh um!“, rief sie noch einmal. Sie biss die Zähne zusammen. Sie würde auf keinen, keinen, keinen Fall in diesen blöden Sumpf mit diesen blöden Schildkröten treiben! Wieder und wieder trieb sie die Ruder ins Wasser und zoooooooog.
    Dann …
    langsam …
    ganz langsam …
    gaaaanz langsam …
    legte sich die Brise,
    die Flut machte eine Pause, und dann …
    endlich!
    … drehte das Boot ab.
    Der Flitzer beschrieb mit seiner Nase einen Halbkreis und richtete sie schließlich auf die gegenüberliegende Seite, wo sich die schmale Rinne befand, die zum Meer führte.
    „Ja!“, schrie Mirja. Sie kamen jetzt gut voran und fuhren geradewegs auf den Kanal zu.
    „Jippie!“, jubelte sie.
    Sie zog die Ruder ein, eins nach dem anderen, und lockerte ihre Muskeln. Es hatte doch etwas Gutes, ein Seidensänger zu sein.
    Eine Welle des Glücks schlug über Mirja zusammen. Doch die versickerte wieder, als sie auf ihrem Weg zum Kanal an dem kleinen Anleger vorbeikamen, an Signes Pier, der in den Schatten lag. Die Leere, die dort kauerte, beunruhigte sie. Es war … zu leer. Keine Signe saß auf ihrem gelben Liegestuhl und passte auf. Spielte Strandwächter.
    Plötzlich erinnerte sich Mirja an etwas: Signe, die nach ihr griff und sie aus dem Wasser zog, aus einem anderen Boot, vor langer Zeit. Signe, die sie festhielt, ganz fest. Sie waren beide von Kopf bis Fuß nass …
    „Nur du und ich, kleine Motte …“ Signes Worte in ihren Ohren. Die letzten Worte, die sie jeden Abend hörte.
    Der Anleger wurde kleiner, während sie sich von ihm entfernte. Mirja hob den Blick und schaute zu dem Haus, das hinter dem Anleger lag. Auch das Haus wurde kleiner. Dort drinnen lag Signe in dem Zimmer neben ihrem und schlief. Ohne nachzudenken, streckte Mirja die Hand nach dem blasser werdenden Haus aus, als ob sie Signe auf die Schulter tippen, sie aufwecken und sagen wollte: Hier bin ich! Aber dann fühlte sie den Glücksbringer ihrer Mutter auf der Brust. Sie sah ihn im zarten Licht des Mondes schimmern.
    „Zieh“, sagte sie zum Mond. „Zieh!“
    43 Während der Mond immer höher in den Nachthimmel stieg, nahm Mirja wieder die Ruder zur Hand. Autsch! Schnell ließ sie sie wieder in die Dollen fallen und schüttelte ihre Hände aus, eine nach der anderen. Wow! Ihre Hände fühlten sich an, als wären sie von Bienenstichen übersät. Dogie hatte ihr nicht gesagt, dass Rudern so schmerzhaft war! Ihre Hände waren wund vom vielen Zerren und Ziehen an den Rudern.
    Als sie mit ihrem Job bei Dogie angefangen hatte, hatte sie Blasen von dem Kamm bekommen, mit dem das alte Wachs abgezogen werden musste, aber sie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Hände so geschmerzt hatten wie jetzt. Wieder schüttelte sie sie aus.
    In Gedanken korrigierte sie den Wortlaut von Punkt G. Auf ihrem

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