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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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Kopf in den Wind neigt, wird es stärker. Er ist sich sicher. Jemand hat den Porte-bonheur um einen Wunsch gebeten.
    Ein Schauer des Glücks durchzieht seinen Körper. Wie viele Jahre lang hat er nach diesem Signal gesucht? Achtzig? Neunzig? Hundert? Er glaubt nicht, dass es hundert Jahre waren, aber er hat schon vor langer Zeit aufgehört zu zählen.
    Er taucht in das warme Wasser ein, kommt wieder hoch und schüttelt den Kopf. Ja, kein Zweifel, das Signal wird stärker. Er stellt sich im Wasser auf und versucht zu ergründen, aus welcher Richtung das Signal kommt. Er reckt die Arme über den Kopf und lässt sich den Wind um die Fingerspitzen wehen.
    Texas.
    Er runzelt die Stirn. Texas? Wie oft ist er an der Küste von Texas entlanggeschwommen, und jedes Mal vergebens? Aber heute, heute Nacht, ist er sich sicher, dass ein Wunsch ausgesprochen worden ist.
    Er lässt sich nach hinten sinken und treibt auf dem warmen Wasser. Der Wind tanzt über ihn hinweg. Ein Wunsch. Ja. Klar und herrlich.
    Texas. Noch einmal.
    Vielleicht , denkt er. Vielleicht . Ein Lächeln breitet sich auf seinem runzeligen Gesicht aus und er lacht laut auf.
    56 Der Schwimmer war nicht der Einzige, der in dieser blauen Mondnacht ein Signal empfing. In dem orangegelben Haus hob Dogies kleiner Hund Zwei den Kopf von dem Kissen, auf dem er stets zwischen dem Kopfteil des Bettes und Dogies Schädel schlief.
    Zwei hatte nicht nur einen Namen, sondern auch einen Titel: Sturmprophet. Ein Prophet ist jemand – in diesem Fall ein Hund –, der Dinge vorhersagen kann. Zwei sagte Stürme vorher. Eigentlich sagte er atmosphärische Störungen voraus, die auf unterschiedliche Weisen zu Stürmen führen können.
    Wann immer ein Sturm aufzog oder irgendein Tumult in der Atmosphäre zu spüren war, konnte Zwei nicht mehr aufhören zu kläffen: „Jap, jap, jap.“ Dazu tanzte er auf seinen winzigen Hinterpfoten herum. Zwei sah ein bisschen aus wie ein Chihuahua, aber er hatte eine rundere Nase und schwarze Tupfen wie ein Dalmatiner. Er hatte riesengroße Augen. Vielleicht waren es diese Augen, mit denen er Stürme erkannte, bevor irgendjemand sonst ihrer gewahr wurde.
    Dogie hatte noch nie einen Hund wie Zwei gehabt. Er war sein allerbester Freund, genauso wie BF für Mirja. Eigentlich lautete Zweis vollständiger Name Bester Freund Nr. 2, aber Dogie nannte ihn immer nur Zwei. Und alle anderen auch.
    Zwei.
    Der Sturmprophet.
    Jetzt hob er den Kopf und schnüffelte. Jap, jap, jap . Da braute sich ein Sturm zusammen. Er konnte ihn riechen, wenn auch nur ganz schwach. Dann schnüffelte er wieder. Da war etwas Besonderes an diesem Sturm. Es war kein gewöhnlicher Orkan, der vom Golf landeinwärts wehte und die Palmen herumschleuderte. Nein. Was für ein atmosphärischer Aufruhr war das? Er setzte sich auf und ließ sich die weiche Nachtluft um die Nasenspitze wehen.
    Er tapste im Kreis auf dem Kissen herum. Ein Sturm zog auf, eine atmosphärische Störung. Aber im Augenblick war alles noch harmlos und ganz weit weg. Er schob seine Nase in Dogies krusselige Dreadlocks und schlief wieder ein. Demnächst , dachte er noch, als er wieder in seinen Hundetraum glitt, wird jemand aufwachen müssen .
    57 Jeder, der am Meer wohnt, weiß, dass der Mond über die Gezeiten regiert. Er zieht sie hin und her, hierhin und dorthin, hoch und runter. Und dann dreht er sich um und geht seiner Wege.
    Sindbad saß auf dem Schoß seines alten, uralten Freundes Mr Beauchamp und lauschte auf die flache Atmung des Mannes. Er hatte einen Wunsch, einen Wunsch so groß wie der Mond selbst. Er wünschte sich, dass Mr Beauchamps sehnlichster Wunsch endlich in Erfüllung ginge, selbst ohne den nachtblühenden Kaktus – bevor es zu spät war.
    Der alte Mann hielt eine abgebrochene Knospe der Königin der Nacht in der Hand. Sie würde sich nicht mehr öffnen, nicht nachdem sie auf den Muschelschalensplittern in der Einfahrt zerschellt war.
    Mr Beauchamp lebte schon lange hier an dieser Straße. Er und zehn wilde kleine Pferde waren mit einem kleinen Schiff aus seiner südfranzösischen Heimat, aus Les Saintes-Maries-de-la-Mer, über den Atlantischen Ozean und den Golf von Mexiko gekommen. Mr Beauchamps Heimatort lag in der Camargue, einer Gegend, die für ihre weißen Wildpferde berühmt ist.
    Mr Beauchamp hatte niemals die Absicht gehabt, so lange in der Oyster Ridge Road zu bleiben. Er hätte nur so lange bleiben sollen, wie das Schiff vor Anker lag, bis die Pferde an einen Zirkus geliefert

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