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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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Zeit war, Mirja zu erklären, dass es so etwas wie Magie und Meerjungfrauen – und sprechende Krabben – nicht gab. Ein zehnjähriges Mädchen konnte die Wahrheit vertragen.
    „Mirja“, flüsterte Signe im Schlaf. Sie ahnte nicht, dass ihr Mädchen immer weiter von ihr wegtrieb.
    50 Signe hatte sich diesen Abend ganz anders vorgestellt. Am Morgen war sie früh aufgestanden, noch vor Sonnenaufgang. Der fast volle Mond, ein Überbleibsel der vergangenen Nacht, hatte immer noch am westlichen Himmel gehangen, knapp über dem Wasser. Sie hatte ihn betrachtet und ihm mit ihrer Kaffeetasse zugeprostet. „Heute ist die Nacht des blauen Mondes“, hatte sie glücklich gesagt.
    Nur wenige Tage, nachdem Meggie Marie sie verlassen hatte, war Signe in die Bücherei von Tater gegangen und hatte sich alle Bücher über Kindererziehung ausgeliehen. In einem davon – den Titel wusste sie nicht mehr – hatte sie gelesen, wie wichtig Familientraditionen waren.
    „Familientraditionen“, hatte sie zu sich gesagt. Dann hatte sie das Buch zugeklappt und überlegt, welche Familientradition sie erschaffen konnte, ohne eine traditionelle Familie zu haben. Dann hatte sie auf einem Flohmarkt ein altes Kochbuch gefunden. In diesem Kochbuch stand das Rezept für „Blauer-Mond-Gumbo“.
    Das Gumbo gelingt am besten, wenn der blaue Mond am Himmel steht. Ein Schmaus für die ganze Familie. So stand es unter dem Rezept.
    Und so hatte Signe es gehalten. Ein- oder zweimal im Jahr, wann immer es einen zweiten Vollmond im Monat gab, hatte sie einen riesigen Topf Krabbengumbo gekocht und ihre „Familie“ eingeladen: alle Anwohner der Oyster Ridge Road – das waren außer ihr und Mirja ja nur zwei Personen. Und voilà! Da war sie, ihre Familientradition.
    Und heute Morgen, als sie, die Kaffeetasse in der Hand, das Rezept aufgeschlagen hatte, hatte sie den Abend kaum erwarten können. Sie hatte durch das Fenster zu Dogies Haus hinübergeschaut. In seiner Küche brannte Licht. Dogie selbst, da war sie sich sicher, war schon am Strand und suchte Krabben. Am Abend zuvor hatte sie zu ihm gesagt: „Wenn du mir die Krabben fängst, dann koche ich das Gumbo.“ Und er hatte gelächelt.
    Dogie liebte ihr Gumbo. Nicht mehr lange, und er würde durch die Tür in die Küche kommen und eine Wanne voller schnappender und klappernder Krabben bringen, frisch aus dem Golf von Mexiko.
    Die Seiten des alten Kochbuchs waren vergilbt und eingerissen. Das zeigte, dass es oft und gern benutzt worden war und die Rezepte gut waren. Das Kochbuch hatte gehalten, was es versprochen hatte: Signes Gumbo schmeckte stets köstlich, würzig, aromatisch und cremig. Mmh!
    Signe liebte die Gumbo-Abende. Sie liebte es, in ihrer Küche mit den Menschen zu sitzen, die ihr am meisten bedeuteten: Dogie, Mirja und Mr Beauchamp. Alle waren sie da. Sie liebte die Vorstellung, dass sie ganz allein eine Tradition erschaffen hatte: Gumbo in der Nacht des blauen Mondes.
    Signe schloss die Augen und stellte sich alles genau vor. Alle – Dogie, Signe, Mr Beauchamp und Mirja, außerdem die Viecher, Dogies kleiner Hund Zwei, BF , Captain und Sindbad – würden Gumbo essen, bis ihre Bäuche zum Platzen gefüllt waren. Und natürlich würde es für Captain auch Wassermelone geben.
    Dann würde Dogie seine Ukulele holen und alle seine Lieder singen, die vom Mond handelten. Und das waren viele Lieder. Einige kannte sie und die würde sie mitsingen. Mirja würde tanzen, ihr großes und schlaksiges, quicklebendiges Mädchen. Mr Beauchamp würde in seinem Stuhl einschlafen, und sie würden ihn schließlich nach Hause bringen und warten, bis er es sich auf seinem Stuhl auf der Veranda bequem gemacht hatte. Sindbad würde sich schnurrend zwischen ihren Beinen hindurchschlängeln und auf den Schoß des alten Seemanns springen, sich zusammenrollen und einschlafen.
    Nach einer Weile würden auch Mirjas Augen schwer werden. Dann würde Signe sie ins Bett bringen und BF würde sich neben ihr auf dem Teppich niederlassen und den Kopf auf die Pfoten legen.
    Und dann, endlich, würden sie und Dogie sich draußen auf die Veranda setzen, die sich um das ganze spukblaue Haus zog. Signe würde ihre Zigarette rauchen, die eine, die sie sich jeden Abend gönnte, auch wenn sie wusste, dass es ungesund war, und Dogie würde auf seiner Ukulele klimpern, kein richtiges Lied, nur kleine Melodiefetzen.
    Währenddessen würde Mr Beauchamp im Haus gegenüber in seinem Schaukelstuhl sitzen und warten. Er würde warten und

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