Das Meeresfeuer
Zivilisation liegender
Inseln war dies das erste Mal, daß Serena an Land ging, und
somit auch das erste Mal, daß sie eine für sie vollkommen neue
und fremdartige Welt betrat. Er hätte sich gewünscht, daß es
unter etwas weniger dramatischen Umständen geschehen wäre.
Andererseits, versuchte er sich selbst zu beruhigen, was sollte
schon groß passieren? Sie würden den Verletzten zu einem Arzt
bringen, ihre Geschichte erzählen und wieder verschwinden,
noch ehe jemand auf die Idee kommen konnte, ihnen zu viele
neugierige Fragen zu stellen. Wenigstens war das die Theorie.
Aber irgend etwas sagte ihm, daß es nicht so einfach sein
würde. Außerdem war es viel zu spät, sich jetzt noch Sorgen zu
machen. Sie hatten jetzt den Kai erreicht, und sie waren auch
bereits gesehen worden. Drei Männer in einfacher, grober
Kleidung eilten ihnen entgegen. Einer warf Mike ein Tau zu,
das dieser geschickt auffing und an einer Öse am Bug des
Schiffes befestigte, die beiden anderen beugten sich neugierig
vor und versuchten, einen Blick ins Innere des Bootes zu
erhaschen. »Ahoi!« rief einer der Männer. »Wer seid ihr denn?«
»Und was treibt ihr bei diesem Nebel draußen auf See? Noch
dazu in dieser Nußschale?« fügte der andere hinzu.
»Wir haben einen Verletzten an Bord«, antwortete Trautman.
Während Mike das Boot vertäute, stand er auf und deutete auf
die Gestalt zu seinen Füßen. Sie hatten den Verwundeten so
dick in Decken und eine wasserdichte Plane gewickelt, daß nur
noch sein Gesicht sichtbar war. »Gibt es hier einen Arzt?« »Doc
Hanson«, antwortete einer der Männer. »Aber der wird jetzt
noch schlafen, fürchte ich. Was ist passiert?« »Dann sollte
jemand gehen und ihn wecken«, erwiderte Trautman. »Und
möglichst schnell. Den Mann hat es wirklich schlimm erwischt.
Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. «
Mike kam die ruppige Art, auf die Trautman die neugierigen
Fragen der Männer abblockte, ein wenig gewagt vor – aber sie
tat ihren Dienst. Einer der drei drehte sich auf der Stelle herum
und hastete davon, während die beiden anderen Trautman dabei
halfen, den Verletzten so behutsam wie möglich aus dem Boot
zu heben. Auch Serena und Mike verließen das Boot, hielten
sich aber ein wenig im Hintergrund. Serena hatte ein einfaches,
grobes Kleid angezogen, und ihr schulterlanges blondes Haar
verbarg sich unter einem schwarzen Tuch, das sie weit ins
Gesicht gezogen hatte. Aber ihr Blick huschte sehr aufmerksam
in die Runde, und obwohl sie sich bemühte, möglichst
unbeteiligt dreinzusehen, konnte Mike ihre Aufregung fast
körperlich fühlen.
Dabei stellte ihre Umgebung eigentlich eher eine Enttäuschung dar. Ein einziger Blick in die Runde hatte Mike
klargemacht, warum Glengweddyn auf so gut wie keiner Karte
zu finden war: Es war ein Kaff, das den Namen Ort nicht
verdiente. Längs der aus groben Sandsteinblöcken errichteten
Kaimauer drängelte sich ein gutes Dutzend Häuser, von denen
keines jünger als hundert Jahre zu sein schien, und das war
alles. Hinter dem grauen Nebel, der vom Meer heraufgekrochen
war und nun auch den Ort einzuhüllen begann, konnte er einen
schäbigen Kolonialwarenladen erkennen, dessen Läden noch
geschlossen waren, daneben ein winziges Pub, und ansonsten
nichts als gleichförmige, schäbige Häuser mit größtenteils
ebenfalls noch geschlossenen Läden. Nirgendwo brannte ein
Licht. Kein Wunder, dachte er, daß der Arzt noch schlief. Der
ganze Ort schien noch zu schlafen.
Irgendwie hatte er das Bedürfnis, sich bei Serena zu
entschuldigen. »Es sieht nicht überall so aus wie hier«, sagte er
in fast verlegenem Tonfall. »Das hier ist ein sehr kleiner Ort,
weißt du?«
»Ich finde es... interessant«, antwortete Serena. Offenbar
wollte sie höflich sein. »So etwas hat es bei uns nicht gegeben.
«
Ja, dachte Mike griesgrämig. Das glaube ich sofort. Er hatte
bisher auch nicht gewußt, daß es so etwas hier gab.
Aber wenn Glengweddyn auch zu den Orten gehören mochte,
deren Namen größer waren als die dazugehörige Stadt, so hatte
es doch eines mit den meisten Städten auf der Welt gemeinsam:
Seine Bewohner waren nicht nur sehr hilfsbereit, sondern auch
sehr neugierig. Es vergingen keine fünf Minuten, bis sich die
Straße langsam zu füllen begann. Ein gutes Dutzend Menschen
umlagerte Trautman und die beiden Männer, die den Verletzten
trugen, und auch Mike und Serena sahen sich plötzlich im
Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.
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