Das Meeresfeuer
sterben einfach nicht. »Wie
ist es passiert?« flüsterte er. Winterfeld starrte an ihm vorbei ins
Nichts. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, das Mike
kaum mehr verstehen konnte. »Vor drei Monaten«, antwortete
er. »Es war ein Angriff auf die LEOPOLD. Eine deutsche
Fregatte. «
»Eines Ihrer eigenen Schiffe?« keuchte Mike. »Ihr Kapitän
glaubte wohl, sich einen Orden verdienen zu müssen«,
antwortete Winterfeld bitter. »Vielleicht war er auch einfach nur
verrückt. Das Schiff tauchte plötzlich auf und eröffnete
warnungslos das Feuer auf uns. Es war so... so sinnlos. Er hatte
keine Chance. « Mike war kaum in der Lage, Winterfelds
Worten zu folgen. Er hörte sie, aber sie erreichten nicht wirklich
sein Bewußtsein.
Trotzdem war ihm ganz klar, was geschehen war: Winterfeld
war ein Deserteur. Er hatte vor mehr als einem Jahr zusammen
mit seinem Schiff und dem Großteil seiner Besatzung den
Befehl verweigert und sowohl dem deutschen Kaiserreich als
auch dem Krieg den Rücken gekehrt, und natürlich machte nun
jeder Kapitän des Kaiserreiches Jagd auf ihn. Vermutlich stand
sein Kopf ganz oben auf der Wunschliste des deutschen Kaisers,
gleich unter dem des britischen Königs. »Aber... aber wieso?«
stammelte er. »Das... das kann doch gar nicht sein!«
»Es war ein Zufallstreffer«, fuhr Winterfeld leise fort. »Wir
haben sie in Stücke geschossen, noch ehe sie die zweite Salve
abfeuern konnten. Nur eine einzige Granate hat uns getroffen.
Sie verletzte mich, und sie tötete Paul. «
Mike kämpfte mit aller Macht gegen die Tränen. »Er hat
deinen Namen genannt, Mike«, sagte Winterfeld. »Ich mußte
ihm etwas versprechen, und ich werde dieses Versprechen
halten. Ich habe ihm geschworen, daß dir und deinen Freunden
kein Leid geschieht. Und daß die NAUTILUS nicht in falsche
Hände gerät. Deshalb habe ich euch befreit. «
»Dann wußten Sie die ganze Zeit, wo wir waren?« fragte
Mike.
»Nicht die ganze Zeit«, antwortete Winterfeld. »Aber seit ein
paar Wochen, ja. « Er lächelte traurig. »Ich weiß, ihr habt
gedacht, daß ihr mich verfolgt. « »Dabei haben Sie uns
verfolgt«, murmelte Mike. »Deshalb waren Sie auch so schnell
zur Stelle, als Stanleys Schiff uns gejagt hat. « Winterfeld
nickte. Er sagte nichts. »Soll ich Ihnen jetzt danken?« fragte
Mike. Sein Schmerz schlug in Zorn um. »Das werde ich nicht«,
sagte er. »Ich glaube nicht, daß Paul es so gemeint hat. Sie
haben uns gerettet, aber um welchen Preis?« »Ich verstehe deine
Verbitterung«, antwortete Winterfeld sanft. »Vielleicht hast
du
sogar recht. Ich habe es aufgegeben, über Recht und Unrecht
nachzudenken, Mike. Sie sind nicht mehr, was sie sein sollten.
Es sind nur noch Worte ohne Bedeutung. Recht hat in dieser
Welt nur noch der, der stärker ist. « »Aber das ist doch
Wahnsinn!« sagte Mike. »Ja«, antwortete Winterfeld. »Das ist
es. Es ist Wahnsinn, weil die ganze Welt wahnsinnig geworden
ist. Aber ich werde diesen Wahnsinn beenden. « Er machte eine
zornig wirkende Geste. »Ich weiß, daß Stanley und Brockmann
mich für verrückt halten – und Trautman und du vielleicht auch.
Vielleicht braucht es einen Verrückten, um eine Welt von
Verrückten zur Besinnung zu bringen. «
»Und das sind Sie?« fragte Mike. »Warum nicht? Jemand
muß es tun. Und ich bin in der Lage dazu. « »Und wie?«
»Das kann und will ich dir nicht verraten«, antwortete
Winterfeld. »Noch nicht. Aber bald. Und ich bitte dich, über
dieselbe Frage nachzudenken, die ich Stanley gestellt habe. Ob
du mir glaubst oder nicht – versuch dir einfach vorzustellen, daß
ich tatsächlich die Macht hätte, diesen Krieg zu beenden, und
dann entscheide. « Er gab sich einen Ruck und sprach lauter und
mit veränderter Stimme weiter.
»Du kannst jetzt gehen. Ich habe euch einen Teil des Schiffes
zugewiesen, in dem ihr euch frei bewegen könnt. Ich weiß, daß
ihr mein Vertrauen nicht ausnutzen werdet. «
Die Nachricht von Pauls Tod versetzte sie alle in tiefe
Bestürzung. Selbst Ben, der früher keine Gelegenheit
ausgelassen hatte, Paul wegen seiner Herkunft und Nationalität
zu hänseln, wurde für eine Weile sehr ruhig, und als Mike
genauer hinsah, erkannte er, daß er mit den Tränen kämpfte.
Schließlich war es Stanley, der als erster das Schweigen brach.
Brockmann und er waren zu den anderen gebracht worden.
»Das wäre wenigstens eine Erklärung«, sagte er. »Wofür?«
wollte Mike wissen. Auch er kämpfte plötzlich mit den Tränen.
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