Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
auch ohne gentechnisch veränderte Pflanzen existieren große Produktivitätsreserven in der Landwirtschaft, das gilt besonders in den von Kleinbauern bewohnten ärmeren Ländern. In allen Regionen der Erde – nicht nur im Westen – sind die Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten drastisch gefallen. In Afrika haben sie sich – ausgehend von 6 bis 7 Kindern pro Frau – inzwischen halbiert. Im Iran liegt die Geburtenrate heute bei 1,65. In
der Türkei bei 2,1. In Bangladesch bei sensationellen 2,28, also nur noch knapp über der Reproduktionsrate (bei 2,1 Kindern pro Frau bleibt die Bevölkerungszahl langfristig stabil). Nur noch in wenigen Regionen der Erde, in denen vollständige Not und Rückständigkeit herrschen – Jemen, Kongo, Afghanistan –, gibt es keine Anzeichen des demografischen Sprungs, in dem sich die Gesellschaft von der Großfamilien- zur Kleinfamilien-Struktur transformiert. Nur noch drei bevölkerungsstarke Länder mit über 80 Millionen Einwohnern – Pakistan, die Philippinen, Nigeria – haben heute (2011) eine Geburtenrate von über drei Kindern pro gebärfähiger Frau. 3
Die »Megastaaten« China und Indien liegen heute mit 1,6 beziehungsweise 2,6 knapp unterhalb oder oberhalb der Reproduktionsrate – wobei in Südindien bereits europäische Geburtenraten erreicht werden und die Geburtenrate in China durch das langsame Ende der Ein-Kind-Politik wieder etwas steigen könnte. Bereits in diesem Jahrzehnt – den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts – wird die Hälfte der Weltbevölkerung in Nationen leben, die unter der 2,1-Grenze liegen. Einige Länder wie Japan, Südkorea, Russland befinden sich bereits auf einem massiven Schrumpfungspfad – ein Effekt, der in China in 15 Jahren eintreten wird.
Fertilitätstrends sind ungeheuer robust – weil sie genau in der Schnittmenge der Megatrends Urbanisierung, Feminisierung, Individualisierung und Alterung liegen – man müsste alle diese Trends mit einem Schlag beenden oder umkehren, um die Geburtenrate wieder auf vormoderne Werte steigen zu lassen. Es ist bis jetzt noch in keinem Land, dessen Geburtenrate unter die Reproduktionslinie gefallen ist, beobachtet worden, dass die Kinderzahl wieder drastisch steigt (Frankreich hat heute, aufgrund perfekter Ganztagsschulen und weiblicher Karriereplanung, zwei Kinder pro gebärfähige Frau, das ist, mit Island, Europarekord, dürfte sich aber kaum nach oben bewegen). Sobald eine Kultur auch nur den Hauch von Wohlstand und Differenzierung erfahren hat, ändern sich die Reproduktionsmuster nachhaltig und unwiderruflich. Ein anderes Kulturmodell entsteht, in dem Menschen intensive Bildungs- und Aufmerksamkeitsressourcen in wenige Kinder investieren.
Auch die These, dass in kommenden Krisen- und Kriegszeiten die Geburtenrate wieder nach oben schnellt, ist schlichtweg falsch. In Krisen und Kriegen, das zeigten schon die letzten Weltkriege, reduzieren sich die Geburtenraten noch einmal drastisch – jedenfalls wenn eine bestimmte kulturelle Komplexitätsstufe überschritten ist.
Während in Schulbüchern und TV-Diskussionsrunden weiterhin von der »Bevölkerungsexplosion« die Rede ist, die uns mehr oder minder zwangsläufig kommende Kriege, Rohstoff- und Umweltkrisen bescheren muss (»Der Mensch plündert den Planeten«), ist die Realität eine andere. Der Bevölkerungsanstieg wird zur Mitte des Jahrhunderts hin immer flacher, bis gegen null. Ein, zwei Jahrzehnte wird sich die Anzahl der Menschen auf diesem Planeten um 9 Milliarden herum stabilisieren (gegenwärtig sind es knapp 7 Milliarden). Und dann, spätestens gegen 2070, wird die Erdbevölkerung anfangen zu schrumpfen.
Das Jahr 2045 wird uns – unsere Kinder und Enkel – also von einer etwas anderen Warte in die Zukunft schauen lassen. Es zeigt eine Menschheit kurz vor ihrem zahlenmäßigen Zenit. Dies wird die mentalen Horizonte und die Zukunftsbilder verändern. »Schrumpft die Menschheit sich zu Tode?« lautet dann womöglich eine Schlagzeile. Ökonomen rechnen mit ernstem Gesicht vor, dass im Jahr 2100 die Weltwirtschaft zum Erliegen kommen könnte – aus Mangel an Menschen. Programme zum Anregen der menschlichen Fruchtbarkeit werden angekündigt. Haben Sie heute schon an Nachwuchs gedacht?
Der multi-adaptive Markt
Als Nikita Chruschtschow, der legendäre Generalsekretär der KPdSU, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, im September 1959, zum ersten Mal Amerika bereiste, besuchte er einen Supermarkt in Manhattan. Angesichts der
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