Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
biologische Prozesse erinnern. Einfache Zellverbände beginnen, sich oszillierend zu bewegen. »Fresszellen« inkorporieren andere Zellverbände. »Runner« bewegen sich über weite Strecken, Fäden von »Konnektoren« bilden sich aus.
Im weiteren Verlauf entwickelt unser imaginäres Spielfeld so gut wie immer Cluster. Große Flächen, auf denen fast nichts passiert, stehen verdichteten Ballungsgebieten gegenüber. Hier steigt die Komplexität der interagierenden »Bots«, hier »stapeln« sich Prozesse, hier wird »Nahrung« produziert. Die Rückkopplungen verdichten sich. Das Simulationssystem entwickelt Adaptivität. Bald lässt sich daraus eine Art Fitnesslandschaft erkennen.
Überführt man diese Fläche in die dritte Dimension, entstehen überall dort, wo sich besonders viele Bots tummeln, in den Verdichtungen der Komplexität, Berge und Plateaus. Oben auf diesen Bergen befinden sich die evolutionär erfolgreichen Strategien. Die Bots, die sich erfolgreich vermehrt und vervielfältigt und dabei variiert haben. Türme der adaptiven Komplexität erheben sich auf
Ebenen der Monotonie, in denen so gut wie gar keine Strukturen entstanden sind.
Wäre unser imaginäres Fitnessgebirge die »Natur«, dann symbolisierten die Gipfel erfolgreiche Spezies. Ein Gebirgszug sind die Vögel. Ein besonders großer Rücken die Insekten. Ein kontinentaler Gebirgszug die Pflanzenwelt. Ein steiler, großer Berg die menschliche Spezies.
Wäre unsere Fitnesslandschaft »die Wirtschaft«, dann stünden die Gipfel für einzelne große Firmen, zusammengefasst zu Branchen. In den Tälern häufen sich die Pleiten, an den Berghängen die Unternehmen, die »gerade so durchkommen«. Und ganz obenauf tummeln sich die derzeitigen Marktführer. Diese Spitzen können jedoch schnell erodieren.
Was die Astronauten in der Beobachtungskuppel der ISS erblicken, ist nichts anderes als eine Fitnesslandschaft der menschlichen Spezies. Die leuchtenden Städte entsprechen den Gipfeln der Komplexität, der menschlichen Kooperation, in Form der technischen Zivilisation. In den höher gelegenen Tälern finden sich die Nischen der Bauernkulturen, die in entlegenen Gegenden durchaus erfolgreich überdauern. In den »Schluchten« finden sich die wenigen Stammeskulturen, die aufgrund ihrer hohen Spezialisierung und Angepasstheit eher in evolutionären Nischen »festsitzen«.
Nie ist diese Landschaft statisch. Aber ihre Veränderungen finden in Schüben statt. Momentan, im Aufstieg der Schwellenländer, bilden sich an den Bergflanken riesige Plateaus, aus denen sich irgendwann noch höhere Gipfel des Wohlstands auftürmen können. Die Fitnesslandschaften der Menschheit verändern sich nach dem Prinzip des durchbrochenen Gleichgewichts (»punctuated equilibrium«), das auf den Evolutionsbiologen Ernst Mayr zurückgeht. In der Evolutionsgeschichte können sich durchaus längere Phasen eines nahezu statischen Gleichgewichts herausbilden. Doch irgendwann, durch die Veränderung des Klimas, eine besonders erfolgreiche Spezies oder durch akkumulierte Zufälle, beginnt eine Phase verstärkter Mutation. Täler wölben sich plötzlich nach oben. Neue Gipfel falten sich auf.
In einer solchen Phase beschleunigter Entwicklung befinden wir uns derzeit. Aber das heißt nicht, dass dies immer so bleiben muss. Im Prinzip ist Evolution langsam, zäh, selbstgenügsam. Schneller Wandel passiert nach Äonen von kaum wahrnehmbaren langsamen Verschiebungen.
Eine endlose Geschichte von Wiederholung, unterbrochen durch Zufall. Man könnte den vollständigen Zukunftsnihilismus ausrufen. Die Zukunft ist ein chaotisches Rätsel! Wir können rein gar nichts über das Kommende aussagen!
Das ist die zentrale Fragestellung der systemischen Zukunftsforschung: Können wir, wenn wir schon nicht das exakte Ergebnis der sozioökonomischen Evolution voraussagen können, wenigstens die Kräfte definieren, die hier am Werke sind? Gibt es Wirk-Prinzipien, die die »drei Übergänge«, in denen sich die Menschheit bis heute befindet – von der tribalen zur agarischen zur industriellen Gesellschaft –, auf einer tieferen Ebene erklären und verknüpfen? Ja, es gibt sie. Große, mächtige Kräfte, »driving forces«, die sich auf erstaunliche Weise als robust, kontinuierlich, hartnäckig, ja geradezu verlässlich herausgestellt haben. Rote Fäden aus der Vergangenheit, Scheinwerferkegel in die Zukunft. Die Megatrends.
ZWEITER TEIL
Die Macht der Megatrends
Die supergescheiten Futuristen
Weitere Kostenlose Bücher