Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
unter dem Stichwort bei drei Millionen Einträgen zuoberst den »Megatrend zum Energiesparen«, für den rund 800 Firmen ihre Dienste anbieten. Gleich dahinter verkündet ein lässig an ein Porsche-Chassis lehnender Börsenguru: »Ein geheimer Megatrend kann Ihr Vermögen verdoppeln! – 5 Megatrend-Aktien mit Erfolgsgarantie« – macht nur 5500 Euro. Es folgen die Megatrends »Drucken vom Smartphone«, »Videotelefonie« und »Klein ist das neue Groß«. Eine radikale Splittergruppe beklagt den »kapitalistischen Megatrend zur Armut«. Andere heißen Sie willkommen auf ihrer Plattform »Der Megatrend des Herzens«. Dann seltsame kryptische Mitteilungen: »American Megatrends Announces Aptio®4.x Support for the New AMD Embedded G-Series Processor«.
Kein Wunder, dass die meisten Menschen, die mit dem Begriff Megatrend konfrontiert werden, etwas reserviert wirken. Soll ihnen da etwas verkauft werden? Neugierigen Geistern drängt sich die Frage auf: Wer macht eigentlich die Megatrends?
Unser Hirn denkt – eigentlich ganz vernünftig – in Verursacherkategorien. Wir sind es gewohnt, die Welt nach Interessen zu scannen. Hinter diesem Misstrauen steckt eine alte Erfahrung: Deutungsmacht hat immer etwas mit Interessen zu tun. Wer sagen kann, wo’s langgeht, kassiert ab.
Irgendwo, in einem Keller oder in den Wolken, muss es womöglich eine Megatrend-Zentrale geben, von der aus diese finsteren und unheimlichen Kräfte gesteuert werden. Vermutlich ähnelt sie der raketenbewehrten Pappmaschee-Zentrale von einem der Finsterlinge aus den James-Bond-Filmen. Womöglich sagte schon der gute alte Goldfinger in seinem sächsischen Bariton: Richten Sie die Megatrend-Kanone auf Berlin, New York und Peking! Mister Bond, wir lassen jetzt die Puppen tanzen!
Die Ursprünge
Im Jahre 1984 baute John Naisbitt, ein rothaariger Hüne mormonischen Glaubens, der als stellvertretender Bildungsminister unter John F. Kennedy und als Berater von Präsident Lyndon B. Johnson gearbeitet hatte, in den USA ein kleines, aber äußerst erfolgreiches Dienstleistungsunternehmen auf, das »Urban Research Institute«. Es belieferte amerikanische Lokal- und Regierungsbehörden mit verdichteten Informationen über Trends in der städtischen Entwicklung der USA. Die Art und Weise, wie die Daten gesammelt wurden, war denkbar unspektakulär: Eine Schar von Studenten durchsuchte Printmedien auf Meldungen aus den Bereichen Demographie, Kriminalität, Schulwesen, Verkehr, Energie und so fort. Da es in den sechziger und siebziger Jahren weder das Internet noch vernetzte Statistikdatenbänke gab, waren vergleichende Informationen über politische und soziale Entwicklungen praktisch nicht verfügbar. Naisbitt lieferte mit seinen Dossiers wichtiges Material für die Entscheidungsfindung in Regierungsbehörden, Unternehmen oder Stadtverwaltungen. Man konnte nun die Maßnahmen in Houston mit den Erfolgen in Los Angeles vergleichen. Das war das ursprüngliche Wesen von Trendinformationen: Sie machten es möglich, ein vergleichendes Bild zu zeichnen.
Irgendwann begann Naisbitt, sich in seinen Papierbergen zu langweilen. Im Lauf der Jahre entdeckte er immer mehr zusammenhängende Muster jenseits der spezifischen Interessen seiner Kunden. Muster, die die Welt verbinden. Er nannte sie »Megatrends« oder, wie sein Kollege, der Zukunftsforscher Alvin Toffler, »Big Shifts«. In seinem Ur-Werk »Megatrends«, einem Weltbestseller mit einer Auflage von neun Millionen Exemplaren aus dem Jahr 1980, definierte Naisbitt folgende zehn Megatrends:
■ von der Industrie- zur Informationsgesellschaft,
■ von der Technologie- zur Kommunikationsgesellschaft,
■ von der Nationalökonomie zur Weltwirtschaft,
■ von kurzfristig zu langfristig,
■ von zentralisiert zu dezentralisiert,
■ von der institutionalisierten Amtshilfe zur Selbsthilfe,
■ von der repräsentativen zur partizipatorischen Demokratie,
■ von Hierarchien zu Netzwerken,
■ von Norden nach Süden,
■ von entweder/oder zu sowohl/als auch. 1
Sind das wirklich »Trends«? »Von entweder/oder zu sowohl/als auch« – das klingt wie ein Kalenderspruch. »Von zentralisiert zu dezentralisiert« hört sich an wie eine Wunschvorstellung, so alt wie die Hoffnung auf weniger Steuern. Naisbitt schrieb, dass die »amerikanische Wirtschaft auf kurzfristige Geschäftsziele setzt, dass sich dies aber demnächst ändern wird«. Diese These könnte man umstandslos auch heute noch vertreten.
Im Jahr 1990 erschien die
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