Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Robert Kurzban zeigt in seinem Buch »Why Everyone (Else) is a Hypocrite« 7 (Warum jeder – außer mir – ein Heuchler ist) auf, warum viele Menschen, auch und gerade kluge Menschen, niemals völlig konsistent handeln. Wir wählen grün und fahren große Autos, wir lieben Treue und begehren dennoch, wir schimpfen auf Politiker wie die Rohrspatzen und erwarten von der Obrigkeit allen nur erdenklichen Komfort. Wir glauben, dass die Menschheit verloren ist, weil jeder zu viel verbraucht, und geben auf der Autobahn richtig Gas. Und vor allem: Wir merken noch nicht einmal, wie bigott wir eigentlich sind!
Das menschliche Gehirn ist von der Evolution nicht als konsistente, statische Einheit konstruiert worden. Die verschiedenen limbischen, kognitiven Erregungs- und Speichersysteme sind entwicklungsgeschichtlich in verschiedenen Phasen und für bestimmte Zwecke entstanden. Angstwahrnehmung, Bildverarbeitung, Gier, Wollen, Gefühl, »Sinnproduktion«, all das ist in unterschiedlichen Hirnzentren und -arealen untergebracht. Diese »Module«, so nennt Kurzban die Repräsentanten der multiplen Hirnlogik, befinden sich in einem ständigen Streit:
Hirn 1 an Körper: »Steig in dieses wunderbare Auto und gib Gas, das wird dir guttun – ich versorge dich mit Endorphinen!«
Hirn 2 an Hirn 1: »Bist du verrückt? Willst du den Planeten vernichten und deine Nachkommen töten?«
Hirn 3: »Das könnte aber auch ein paar PS mehr haben und von einer anderen Marke sein, damit du im Konkurrenzkampf einen Vorteil erlangst und dich besser fortpflanzen kannst.«
Hirn 4: »Fortpflanzung ist idiotisch. Zu viel Energieaufwand. Verschieben wir auf später!«
Was wir »Persönlichkeit« nennen, ist in Wirklichkeit ein Streitgespräch. Im günstigsten Fall ein Konzert. Meistens eine Kakophonie. Wann hört das auf? Nicht, wenn wir endlich »uns selbst gefunden haben«. Sondern wenn wir tot sind. Wir sind nicht nur viele. Wir sind ich, weil wir viele sind! Bewusstsein ist nichts als eine seltsame Schleife der Selbstbeobachtung unseres Hirns. Jeder
von uns führt diese Auseinandersetzungen in sich den ganzen Tag hindurch, und wenn er es nicht tut, ist es vermutlich nicht sehr anregend, mit ihm umzugehen. Genau diese »Multiphrenie« macht unser menschliches Wesen aus. Im Endeffekt können wir auch nur über Moral streiten, weil wir diese Widersprüchlichkeit besitzen. Und am Ende ist die Idee eines »integrierten Ich«, die Grundidee aller Psychologie, allenfalls eine Not- und Hilfskonstruktion. Es geht vielmehr darum, das Ich-Orchester spielen zu lassen, ohne vor möglichen Misstönen davonzulaufen.
Das Selfness-Prinzip
Zu einer reifen, erwachsenen Individualität benötigen wir Kulturtechniken, die ich hier als »Selfness-Kompetenzen« bezeichnen will. Dabei sind folgende Schritte besonders wichtig:
Den eigenen Schatten verstehen: Jeder Mensch bekommt von seinen Eltern einen »Goldenen Topf« mit auf den Weg. Einen Lebenskredit an Zuneigung, Vertrauen, Zuwendung. Ist dieser Topf allzu klein oder durch Paradoxien vergiftet, durch Schicksalsschläge beschädigt, wächst man mit einem »Paket der Angst« auf. Niemand (oder kaum jemand) wird von innerer Unsicherheit verschont, von Brüchen der Seele, die Folge früher bedrohlicher Erfahrungen sind. Bei vielen Menschen nimmt diese Verletzung das Ausmaß eines Traumas an. Ohne Arbeit am Selbst wird diese Verletztheitserfahrung zu einem schwierigen, manchmal gefährlichen Erbe für die Um- und Nachwelt. Durch Neurosen, durch Machtausübung, durch passive und aktive Aggression läuft der »kompensatorische Mensch« Gefahr, seine Mitmenschen zu schädigen. Fast alle Vergewaltiger und Mörder wurden in ihrer Kindheit missbraucht oder misshandelt. Kindheitsverletzungen werden normalerweise auf die eigenen Kinder übertragen – und dadurch ewig perpetuiert.
Das eigene Element entwickeln: In der zweiten Stufe geht es um jene geheimnisvolle Substanz, die unser inneres Wesen ausmacht. Das, worin unsere wirkliche Sehnsucht liegt. Die Kraft, die uns als Individuum von allen anderen unterscheidet. An diesem
Punkt geht es eben nicht mehr nur um Wahrnehmung und Selbstdefinition. Sondern um Handeln. So wichtig Selbstreflexion sein mag, auf Dauer können wir unser authentisches Ich nur im Handeln finden. In einer Kunst, die nur wir so beherrschen. In einem Beruf, der ganz zu uns gehört. In einer Berufung für eine höhere Aufgabe, in die wir unsere Energie stecken. In einem realisierten Talent.
Emotionen
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