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Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht

Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht

Titel: Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt <München>
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Beimer-Schillers, Beimer-Zieglers und Zenkers – sowie auch Paare ohne Kinder und dazu Wohngemeinschaften. Es gibt eine Arztpraxis, das griechische Restaurant »Akropolis« und einen Supermarkt. In der angrenzenden Kastanienstraße befinden sich das Pralinengeschäft »Kakao«, das italienische Feinkostgeschäft, das »Café Bayer« und das Reisebüro »Träwel und Iwends«. In der
entgegengesetzt angrenzenden Ulrike-Böss-Straße ein Kinocenter (»Astor«), ein weiteres Café und ein Friseursalon. Es geht um Kiffen und Pubertät, um Scheidung und Ehebruch, um Ausländer und Inländer, Gewalt und Friedensbewegung, um Schwulsein und Krankheit, um Ausbruch, Einbruch, Abbruch, Trennung. Also um alles, was nicht mehr funktional, normal, harmonisch, kollektiv verläuft. Plötzlich verführt die brave Ehefrau den biederen Nachbarn, und die beiden werden im Hausflur vom Sohn in flagranti erwischt. Eine böse Scheidung ist die Folge, über die alle unentwegt räsonieren und mitleiden. Die Scheidung führt zu einem anderen, schwierigen, aber womöglich glücklicheren Leben. Jeder in diesem narrativen Universum hat unentwegt »Arbeit am Selbst« zu leisten. Gleichzeitig ist die Lindenstraße aber eine Straße der Hoffnung. Auch eine Behinderung ermöglicht ein erfülltes Leben. Tröstlicher und plastischer kann die Botschaft der Individualisierung nicht daherkommen.
    In den letzten Jahren kommen, besonders aus den USA, neue Serien auf den Fernsehmarkt, die die Zurschaustellung der Individualität noch ein Stück weiterdrehen. Ihre Helden überschreiten die Grenze zum Borderline-Dasein. Tara, die multiple Persönlichkeit aus »Taras Welten«. Der Autist Max aus »Parenthood«. Der neurotische Forensiker »Dexter«. Der drogendealende Lehrer aus »Breaking Bad«. Sind wir nicht alle ein wenig verrückt auf unserem Weg zum Selbst?
    Kulturelle Unterschiede
    Wenn in Tokio jemand einen anderen in der U-Bahn anrempelt, steigt der Adrenalinlevel des Betroffenen kaum. Wenn dasselbe in New York, Berlin oder Paris passiert, gehen die körperlichen Alarmsirenen an.
    Wenn in Japan ein Atomkraftwerk explodiert, steigt in deutschen Wohnzimmern der Blutdruck. Anders in Japan. Die Japaner haben in einem jahrhundertelangen Kulturprozess gelernt, dass »Katastrophe« bedeutet, Ruhe zu bewahren. Nach Hause zu gehen. Reis zu kochen. Und besonders hilfsbereit zu sein und fürsorglich zu den Nachbarn.

    Das Verhältnis zwischen Gruppe und Einzelnem wird in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich definiert, jede entwickelt eine eigene Auffassung von Individualität. Das hat nicht nur mit Wohlstand und »Entwicklungsstand« zu tun. Die islamische Kultur bewertet Individualität auch dort anders, wo wirtschaftliche Prosperität herrscht. In der asiatischen Kultur gilt der Rebell nur etwas, wenn er ein ausgezeichneter Kung-Fu-Kämpfer ist – und den Bösewicht bestraft, damit die »ewige Ordnung« zurückkehrt. Innerweltlichkeit wird durch Ritualisierung, nicht durch Rebellion und Konflikt ausgedrückt. Grob vereinfacht: Im Westen konstituiert sich die Gesellschaft aus dem Individuum. Im Osten das Individuum aus der Gesellschaft. Solche Prägungen haben tiefe anthropologische Wurzeln, sie wurden über Hunderte von Generationen eingeübt und verinnerlicht. Und doch unterliegen auch solche Gesellschaften in der modern-medialen Spiegelungskultur dem Wandel und mit ihnen das Verständnis von Individualität.
    Wer in Tokios Innenstadt unterwegs ist, begegnet schrillen Äußerungen von Individualität, die uns narzisstisch-überzogen oder auch sehr intim vorkommen, in Japan aber vor allem einen Bruch mit Uniformität und Tradition bedeuten. Jugendliche mit weiß gemalten Gesichtern, als wären sie Gothic- oder Punkanhänger, phantasievolle bis phantastische Verkleidungen – bei denen die Männer auch mal pinkfarbene Röcke anhaben.
    Die Sehnsucht nach Eigenheit und Eigensinn, nach dem Erfahren des Selbst, ist ein universeller menschlicher Code. Tempo und Art der Prozesse, die sie hervorrufen, mögen völlig unterschiedlich sein. Trotzdem finden wir schon in alten Wikinger-Liedern Muster der Selbstreflexion, die sich in modernen Konsumgesellschaften zur Selbstfindungs-Psycho-Literatur verdichten. Etwas in der menschlichen Grundkonstruktion treibt uns immer wieder über die Grenzen des »Wir« hinaus, in einen Bereich, in dem nur wir allein gegen den großen Drachen kämpfen können. Nur »wir« ganz allein.

    Das multiple Ich
    Der Evolutionspsychologe

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