Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
eine höhere Ebene transformiert – die der Gelassenheit.
Die Paradoxie der Individualisierung lässt sich also nur durch Re-Kombination überwinden. Alle Menschen, unabhängig von ihrer Kultur, werden von zwei grundlegenden psychologischen Bedürfnissen angetrieben: Verbundenheit und Autonomie. Individualisierung kann aber nicht das Eine zugunsten des Anderen auflösen. Egoismus und Narzissmus sind letztlich missglückte Individualisierungen, denn als genuin soziale Wesen können wir das eigene Wesen nur im Spiegel der Anderen erkennen. Das Ich benötigt ein Wir, um sich zu finden. Umgekehrt benötigt ein echtes Wir – etwa in der Liebe – ein starkes Ich. Deshalb ist der Megatrend Individualisierung Bedingung und Grundlage für den vielleicht wichtigsten aller Megatrends. Wir nennen ihn Connectivity – die große Verbundenheit.
9 Das neue Altern
Als Trendforscher beschäftigt man sich tagein, tagaus mit Trendlinien, die in »LURO-Logik« (»Links Unten nach Rechts Oben«) verlaufen. Etwas wird mehr. Aber oft erweisen sich die Trendannahmen, die aus solchen Datenreihen folgen, als trügerisch oder zumindest unvollständig. Es geht um den Ausschnitt der Betrachtung. Ab einem gewissen Punkt werden alle Geraden zu Kurven. Ab einem gewissen Sättigungsgrad haben die linearen Trends einen »Tipping-Point«, einen Punkt, an dem die Entwicklung kippt.
Wirklich alle?
Ein wichtiges soziokulturelles Phänomen scheint dieser Faustregel einstweilen zu trotzen: die statistische Lebenserwartung. Jedes Jahr steigt die Lebenserwartungszeit, also die Spanne, die ein durchschnittliches Leben umfasst, im Durchschnitt um 8 bis 12 Wochen. Die Kurve, die sich daraus ergibt, ist keine Kurve, sondern eine Gerade. Eine brettgerade Gerade. Seit über einem Jahrhundert. Und kein Anzeichen einer Krümmung ist in Sicht.
In 186 von den (derzeit) 194 Ländern der Erde ist dies der Fall. Auch in bitterarmen Ländern wie Mali, Sudan, Äthiopien, dort von einem niedrigeren Niveau ausgehend. Die einzigen Ausnahmen bilden die Sonderfälle der »Failed States«, Kongo etwa oder Somalia, oder Länder mit »speziellen Problemen«, wie Russland. In Südafrika wirken der Aids-Effekt der Steigerung von Lebenserwartung entgegen und wohl auch die Gewaltprobleme dieses Landes. In Russland scheinen schlechter Wodka und die polarisierte Gesellschaft der Grund dafür zu sein, dass Männer in den letzten Jahrzehnten einige Jahre Lebenserwartung verloren haben.
Jedes Jahr werden also auf unserem Lebenskonto einige Wochen gutgeschrieben. Aus subjektiver Sicht lässt sich dieses Phänomen mit dem »Verschobener-Horizont-Syndrom« illustrieren. Ein männlicher Erwachsener von 40 Jahren hat heute (2010) eine Lebenserwartung von 74 Jahren. Also noch 34 Jahre vor sich. Während er altert, rückt jedoch sein statistischer Todeszeitpunkt weiter in die Ferne. So dass sein statistisches Todesalter bei rund 84 Jahren liegen wird. Er stirbt »im Durchschnitt« also nicht im Jahr 2044 (wie es die Lebenserwartung zu seinem Geburtszeitpunkt nahelegen würde), sondern 2054. Er bekommt zehn Jahre Bonus. Jedes Jahr, das vor ihm liegt, «dehnt« sich zu einem Jahr und etwa zweieinhalb Monaten.
Würde sich die Entwicklung fortsetzen – und dafür spricht mehr, als man denkt –, wird die Hälfte der im Jahr 2010 Geborenen 99 Jahre alt werden! 1
Die meisten Menschen finden diesen Trend nicht wirklich positiv. Denn es kommt ja nicht darauf an, wann wir sterben. Sondern wie wir leben. Ein Lebensalter von 100 Jahren scheint bisher jeden-falls
nicht besonders erstrebenswert, das Bild des eingeschränkten, gebrechlichen 100-Jährigen ist übermächtig.
Die durchschnittliche Lebenserwartung in ausgewählten Ländern im Zeitverlauf (Quelle: data.worldbank.org )
Aber es gibt ja auch statistische und systemische Einwände gegen diese Prognose. A trend is a trend – but when does it bend? Was könnte den Trend zur stetigen Verlängerung der Lebensspanne beenden?
1. Systemische Krankheiten. Muss nicht die Zunahme von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht, Koronarkrankheiten (summiert unter »metabolisches Syndrom«), Krebs die statistische Lebensspanne irgendwann rückläufig machen? Schließlich lesen wir immer wieder Horrormeldungen über eine ständig dicker werdende, zivilisationskranke, multimorbide Bevölkerung. Doch erstaunlicherweise finden sich für diesen Effekt kaum Anzeichen. In vielen Wohlstandsländern sinken heute sogar die Herztodrate oder die
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