Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Selbst in den Jäger- und Sammlergesellschaften fanden sich Methusalems. Im Kontext der alten, der tatsächlichen Risikogesellschaft – vergleicht man sie mit heutigen Lebensrisiken – waren diese Alten Überlebende. Sie hatten schlichtweg Glück, dass Krankheiten, Verletzungen, Mord und Totschlag sie nicht getötet haben. Sie konnten sich irgendwie »durchschlängeln«.
In der modernen Gesellschaft wird dieses Durchschlängeln zu einer größeren Bewegung. 5000 Menschen feiern im Jahr 2011 ihren 100-jährigen Geburtstag in Deutschland, gegenüber rund 500 im Jahre 1960. In Frankreich sind es sogar 15 000. Gemessen an den Alterskohorten der heute 90-Jährigen und der nach wie vor linearen Sterbestatistik werden es im Jahr 2050 50 000 sein, für Frankreich schätzt man eine Zahl von 180 000! 3
Die Altersforschung sagt uns, dass es so genannte »stabile Plateaus« im Alterungsprozess gibt. Wir verfallen nicht kontinuierlich, sondern in Schüben. Zwischen 60 und 75 erleben viele Menschen
einen relativ langsamen Rückgang ihrer körperlichen Fähigkeiten, abhängig von ihren geistigen und körperlichen Aktivitäten. Wenn man erst mal die 90 erreicht hat und gut beieinander ist, kann dieser Zustand durchaus viele Jahre anhalten. Etwa die Hälfte der Hundertjährigen ist gesundheitlich stabil. Man hat dann die Krankheiten überlebt, die einen bis dahin umbringen könnten. Jede kommende Krankheit wird einen allerdings mit höherer Wahrscheinlichkeit umbringen als alle anderen zuvor.
Kollektive Alterung ist also das nüchterne Ergebnis eines multifaktoriellen »Überlebenstrends«, der durch Hygiene, bessere Ernährung, mehr Sicherheit und Frieden, durch medizinische Fortschritte und allgemeine Verbesserungen der Lebensumwelt entsteht. Kinder verhungern – abgesehen von Krisengebieten und den nach wie vor ärmsten Ländern der Erde – nicht mehr, und sie sterben auch so gut wie nicht mehr an Komplikationen und Krankheiten. Da gegen viele Krankheiten geimpft wird, führen Kinderkrankheiten in geringerem Maß zu Folgeschäden, durch die man im mittleren Alter einer simplen Grippe oder einer Lungenentzündung zum Opfer fällt. Ein komplexes, eingespieltes Gesundheitswesen verhindert unentwegt, dass wir vor der Zeit das Zeitliche segnen – rund um die Uhr, unter erheblichem Kostenaufwand. Schwere Infektionskrankheiten werden seit rund einem halben Jahrhundert durch Antibiotika frühzeitig beendet. Viele Krankheiten, die das Leben radikal verkürzten – etwa das Kindbettfieber, die Tuberkulose, der Wundbrand –, sind heute nahezu ausgerottet. Um 1900 starben Menschen in Europa noch überwiegend an Epidemien – Pocken, Grippe, Diphtherie, Cholera, Typhus –, die auch in Friedenszeiten grassierten.
Wenn man steinalt werden will, sollte man eine Frau sein, einen regelmäßigen Lebenswandel haben und in einer stabilen sozialen Umwelt leben, weniger essen als der Durchschnitt, sich körperlich bewegen und in seiner Kindheit länger auf die Schule gehen. Denn diese Verhaltensweisen wirken risikomindernd.
Alterung ist nichts anderes als das biografische Resultat konstanten Wohlstands. Betrachten wir einmal historische Fotos von Marktplätzen oder Menschenmengen. Immer blickt man in lückenhafte
Zahnreihen und auf schwarze Zahnstummel. Noch in den sechziger Jahren hatte praktisch jedes Kind einen breiten Kariesbefund (ich erinnere mich an schreckliche Zahnarztsitzungen). So gut wie kein Erwachsener hatte einen vollen Zahnstatus. Heute haben 70 Prozent aller Kinder kein Karies mehr, und ein volles Gebiss ist bis ins Alter so etwas wie ein sozialer Zwang – auch wenn es künstlich hergestellt ist. Es gibt allerdings nach wie vor sieben bis zehn Prozent Kinder mit einem sehr schlechten Zahnstatus – der dem der Mehrheit der Jugendlichen in den sechziger Jahren entspricht. Gesunde Zähne haben, wie viele Studien beweisen, für die lange Lebenserwartung enorme Bedeutung.
Ein weiteres Beispiel: das Rauchen. Ein Leben lang eine Packung Zigaretten pro Tag kostet einen Erwachsenen durchschnittlich rund neun Jahre Lebenszeit, und ungefähr weitere zehn Jahre mit eingeschränkter Lebensqualität. Die Massenkrankheit COPD ist das, was man als Raucher normalerweise erleidet, wenn es nicht der Lungenkrebs ist – eingeschränkte Atemfähigkeit. In den Jahren seit 1965 ist die Raucherquote in den Industrieländern rapide gesunken – in den USA hat sie sich bei den Männern auf ein Viertel reduziert, in Zentraleuropa auf ein Drittel.
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