Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Kulturen, auch etwas nachgeholfen beim Sterben). Aber die verschiedenen Zustände der Eingeschränktheit im Alter wurden völlig anders bewertet. Dass man krumm, siech und dumm wurde, war normal, akzeptiert, allgegenwärtig. Wenn man heute in südeuropäische Dörfer fährt, kann man diese Lebenswelt noch in ihren Ausklängen besichtigen. »Bucklige Frauen« sind dort nach wie vor alltäglich. In der modernen Welt mit ihren Kriterien der Mobilität und Autonomie ist aber jede Eingeschränktheit per definitionem eine Behinderung, Leid, Elend, ein Skandal. Das stellt das Altern unter den Generalverdacht des Verlusts .
Die statistische Wirklichkeit ist auch hier eine andere, sie bezeugt das Paradox des Altwerdens: Im statistischen Schnitt wird jeder
einzelne 70-Jährige eine geringere Zeit der Altersbehinderung – vom Nicht-mehr-gut-laufen-Können bis zur Demenz – erleben als 70-Jährige in früheren Zeitaltern. Trotzdem werden alle zusammen mehr Demenz-Zeit »produzieren« – einfach weil die statistische Wahrscheinlichkeit des Altwerdens immer weiter steigt. Kurz gesagt: Die Behindertenjahre pro Mensch sinken. Die BehindertenJahre der Gesamtgesellschaft steigen.
79 Prozent der heute 60-Jährigen empfinden ihren Gesundheits-und Geisteszustand als gut oder sehr gut. Das finden auch immer noch 74 Prozent der 70-Jährigen. Vor 20 Jahren lagen die Werte um zehn Prozentpunkte schlechter. Studien in den USA zeigen, dass die Krankheitsanfälligkeit im Alter doppelt so schnell zurückgeht wie die Sterblichkeit. Das bedeutet: Wir verschieben den Beginn von schweren Krankheiten und Behinderungen immer weiter ans Lebensende, und zwar doppelt so schnell, wie wir unseren Tod hinauszögern. Dieses Phänomen lässt sich unter dem Stichwort der »Compressed Morbidity« zusammenfassen – wir bleiben länger fit, um dann schneller zu sterben. 5
Das Altern der Gesellschaft ist ein gutes Beispiel für einen Megatrend, der sich nur »erlöst«, wenn wir unsere inneren Wahrnehmungssysteme, unsere kognitive Matrix verändern und unser Verhalten neuen Voraussetzungen anpassen. Wie war das gleich? Megatrends verändern die Spielregeln des Systems, aus dem sie entstanden sind.
Das neue Altersglück
»Denn der unaufhaltsame, sich von Tag zu Tag beschleunigende Verfall der Bevölkerung, die Überalterung unserer Gesellschaft, die graue Revolution wird das Antlitz Europas stärker verändern als die französische, die russische oder die osteuropäische Revolution, wird größere gesellschaftliche Veränderungen anrichten als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen.« So schrieb, nein trompetete es der Chefredakteur der deutschen »Wirtschaftswoche« in einem Editorial heraus. Pathos pur, gemischt mit dem üblichen medialen Alarmismus, ohne den offensichtlich kein Journalist mehr
auskommt. Fehlt noch die Feststellung: Die Alterung schlägt ein wie ein Atomkrieg. Zersplittert uns wie eine Splitterbombe. Macht uns zu grauem, grünem Schleim.
Es gibt aber auch ganz andere Möglichkeiten, auf das »Phänomen« zu schauen.
Ältere sind glücklicher als Jüngere. Die allermeisten Menschen altern erfolgreich, in dem Sinne, dass sie mit steigenden Jahren auch einen Zugewinn an Lebensqualität empfinden. 6
Wenn Menschen jung sind, sind sie zumeist voller Hoffnungen, Ideale, Wünsche, Elan, Idealismus, Pläne. Sagt man. Aber schon diese Aussage stimmt so heute nicht mehr, und vielleicht hat sie noch nie gestimmt. Jüngere fürchten sich, Anforderungen nicht gerecht zu werden. Sie fürchten sich, befeuert durch die Angst-Medien, vor der Zukunft. Hinzu kommt: In einer Kultur, in der alles irgendwie in Ordnung geht, die Eltern selbst noch den Revoluzzerstatus pflegen, kann man noch nicht einmal ordentlich provozieren und revoltieren.
Im mittleren Alter, das man früher für die »Blüte des Lebens« hielt, fällt dann die Zufriedenheitskurve rapide ab. In der Phase zwischen 35 und 50 ist eine neue biografische Stressphase entstanden, der »middle age stress« oder die Rushhour des Lebens. Der Grund liegt in der Kompliziertheit der Lebensentscheidungen, die sich in diesem Alter häufen, in der Ambivalenz der verschiedenen Lebensmuster und Modelle. Im Jonglieren zwischen Erwerbsarbeit und Familie. Dem Austarieren der Partnerbedürfnisse und Geschlechterrollen. In der immer schwieriger erscheinenden Erziehung der Kinder. Den Problemen beruflicher Mobilität. Entscheidungen häufen sich – für die wir aber immer weniger allgemeingültige Kriterien
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