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Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht

Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht

Titel: Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt <München>
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das Produkt langer Kämpfe, in denen die Fronten keineswegs immer geordnet verliefen. Anfang des 20. Jahrhunderts verdoppelte der Automobilfabrikant Henry Ford den Lohn seiner Arbeiter, nicht weil die Gewerkschaften ihn in wilden Streiks dazu zwangen. Sondern weil Ford an die massive Steigerung der Produktivität glaubte. Und weil er Kunden brauchte, Kunden mit Kaufkraft! Unternehmer hatten immer schon ein viel komplexeres Verhältnis zu ihren Arbeitern als nur das »Ausbeutungsinteresse«: In der Rolle des Firmenpatriarchen schwang immer auch die Vor-und Fürsorge mit. Der Unternehmer alten Typs fungierte wie ein Vater, der wollte, dass seine Schutzbefohlenen Häuser bauten und ihre Kinder bildeten.
    Im Zuge der explodierenden Produktivität nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich auf breiter Front die Einkommen. Das System der Lohnarbeit perfektionierte sich. Ein dichtes Geflecht von Verordnungen, Normen, Dämpfern, Puffern schob sich über den Klassenkonflikt. Neue, sorgfältig austarierte Funktionen und Organisationen entstanden. Der Staat animierte und moderierte das Ganze, schon weil er auf diese Weise direkt an die Quelle seiner Kerneinnahmen gelang: die Lohnsteuer.
    Aus diesen kurzen Jahrzehnten zwischen 1945 und 1970 stammt unser Mythos der Lohnarbeit: Wer im Jahre 1950 in eine Fabrik ging, konnte davon ausgehen, dass er krankenversichert wurde, dass sein Lohn in den kommenden Jahren stieg, und zwar kräftig, dass er einen billigen Kredit bekam, um ein Reihenhaus zu bauen, dass seine Sicherheit im Leben und im Beruf gewährleistet wurde. Auf dieser Gewissheit ließ sich eine Familie gründen, ein »Ernährerstolz«
aufbauen. So entstand die Lebenswelt der Kleinfamilie, die die Enge der großfamiliären Verstrickungen hinter sich lassen konnte. Ein lukratives Modell vor allem für die Männer, die nicht den ganzen Tag zu Hause verbringen mussten und die zentrale Rolle im Haus garantiert bekamen. Aber auch – partiell, manchmal, immer wieder – für die Frauen, die ihre Sicherheitsbedürfnisse nun befriedigt sehen konnten.
    Im Jahr 1960 war die »Entselbstständigung« der westlichen Ökonomien weitgehend abgeschlossen. Nur noch zwischen sieben und neun Prozent der westeuropäischen und amerikanischen Erwerbstätigen waren Selbstständige – gegenüber dem Drei- bis Vierfachen in der früheren Erwerbswelt! Die Anzahl der dauerhaft erwerbstätigen Erwachsenen stieg über die 50-Prozent-Grenze der Erwerbsfähigen. Endlich, nach Tausenden von Jahren Unsicherheit, schien das Leben sicher, planbar, vorhersehbar.
    Max Weber antizipierte schon Anfang des 20. Jahrhunderts, wie sich der Sozialstaat in ein »Gehäuse der Hörigkeit« der neuen, abgesicherten Art verwandeln würde:
    »Im amerikanischen ›benevolent feudalism‹, in den deutschen sogenannten ›Wohlfahrtseinrichtungen‹, in der russischen Fabrikverfassung – überall ist das Gehäuse für die neue Hörigkeit fertig, es wartet nur darauf, daß die Verlangsamung im Tempo des technisch-ökonomischen ›Fortschritts‹ und der Sieg der ›Rente‹ über den ›Gewinn‹ in Verbindung mit der Erschöpfung des noch ›freien‹ Bodens und der noch ›freien‹ Märkte die Massen ›gefügig‹ macht, es endgültig zu beziehen.« 1
    Die schlimmste Angst der Gegenwart scheint sich um den Verlust dieses gut ausgekleideten Gefängnisses zu ranken. Einige Jahre lang machte sich diese Furcht am Mangel an Arbeit fest. Heute verlegen sich die Panikattacken auf die »Prekarisierung« von Arbeit. Wie schrieb der französische Soziologe Robert Castel schön pathetisch marxistisch?

    »Doch just in dem Moment, als (die Lohnarbeit) … endgültig die Oberhand gegenüber anderen Identitätsstützen wie der Familienzugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemeinschaft gewonnen hat, wird diese zentrale Rolle der Lohnarbeit brutal in Frage gestellt … Wenn es wieder zu einer Autonomisierung der Ökonomie und zur Auflösung der Lohnarbeiterlage kommt, verliert der Sozialstaat seine gesamte Integrationskraft.« 2
    »Autonomisierung der Arbeit«. Welch Schreckgespenst! Die Angst davor teilen viele – quer durch alle politischen Lager. Der ehemalige deutsche Arbeitsminister Norbert Blüm, ein Christdemokrat, wettert heute noch in jeder Talkshow gegen den Niedergang der »ehrlichen Arbeit«.
    Der kreative Zwang
    Der alte Deal »Sicherheit gegen Abhängigkeit«, den die industrielle Gesellschaft als zentralen Sozialkontrakt formulierte, war in der Tat

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