Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
ein Fortschritt gegenüber den Lebensrisiken der Agrarwelt und der Frühmoderne. Arbeit als Lohnarbeit und Freizeit als Familienzeit, das war das neue Kulturmodell (»Frohen Herzens genießen!«). Aber im Kontext der Megatrends Frauen, Individualisierung, Mobilität sieht das Ganze wieder etwas anders aus.
Flexibilität ist eben nicht nur ein Schlachtruf der Turbokapitalisten, wie uns die »Dementoren« der alten Arbeitswelt weismachen wollen. Sie ist auch ein Lebensrecht, eine emanzipative Strömung, ein Aufbruch, ein, wie man es früher romantisch formuliert hätte, »innerliches Begehren«. Väter wollen heute anders mit ihren Kindern umgehen – und brauchen andere Erwerbszugänge. Paare suchen nach anderen Wegen von Arbeitsteilungen, die auch die »Wunschdimensionen« ansprechen. Im Zeitalter differenzierter Biografien haben die Menschen Phasen in ihrem Leben, die ihre Möglichkeiten, »voll und ganz« für den Job da zu sein, begrenzen oder entfesseln. Die Grundvoraussetzung der alten Arbeitssicherheit ist jedoch ein strenges Regiment von Zeit, Verfügbarkeit und
Verbindlichkeit. Papi war »ganz für die Firma da«. Aber das hieß auch, dass er Abstriche in seinem Privatleben machen musste.
Wie kommen wir aus diesem Schlamassel, der unserer Sucht nach fossilen Brennstoffen ähnelt, wieder heraus? Könnte »Autonomisierung der Arbeit« nicht auch etwas Positives haben? Ist eine Gesellschaft, eine Ökonomie jenseits des Lohnarbeitskontraktes denkbar? Der schiere Gedanke scheint zunächst hoffnungslos: Die schwindelerregende Mehrheit der Erwerbstätigen ist abhängig von dem, was jeden Monat auf dem Gehaltszettel steht, und gebunden an einen Arbeitsplatz. Wie soll Arbeit jemals »frei« sein oder gar »kreativ«?
Alles, was mit den Tugenden des Lohnarbeiters erledigt werden kann, lässt sich weiter rationalisieren, delegieren, outsourcen, digitalisieren, in ferne Länder verfrachten. Und irgendwann völlig einsparen. Begehrt und gesucht sind nun Menschen, mit denen die alte Fabrikgesellschaft eher ihre Schwierigkeiten hatte. Die Kompetenzen bilden, Verantwortungen übernehmen, Wissen akkumulieren und umsetzen, eigenständig denken, Dinge infrage stellen. Die Arbeit nicht mehr in Stundentakten begreifen. Die sich selbst verändern können.
Es sind im Wesentlichen drei Faktoren, die den Code der Arbeit neu schreiben:
■ Der wachsende kommunikative Charakter der Arbeit. Klassische Produktion basiert immer auf Schweigen. »Maul halten und malochen« ist ihr Prinzip, so wie bei der tapferen Putzfrau. In den »Produktionen« der Zukunft spielt Kommunikation die Schlüsselrolle – sowohl nach außen, zu den Kunden, als auch nach innen, in komplexen Abstimmungsprozessen.
■ Der Grenznutzen der Hierarchie. Hierarchien sind effektiv, wenn es darum geht, Produktionen zu strukturieren, die sich nicht ändern. Auch in Notsituationen und beim Gefahrenmanagement sind wir ohne klare funktionale Hierarchien schlecht dran. Als dauerhaftes Organisationsprinzip haben Hierarchien jedoch einen schweren Nachteil. Sie erfordern hohe »Transaktionskosten«. In einer Hierarchie müssen ständig Kommandos von oben
nach unten weitergegeben werden, die Ergebnisse kontrolliert, Informationen ausgewertet und »eingespeist« werden. In der Spitze entsteht dadurch eine Art »Atemnot der Entscheidungen«, eine ständige Informationskrise. Die Wege sind lang, und besonders in dynamischen Situationen kann das teuer werden. Je hierarchischer Systeme aufgebaut sind, desto marktferner und fehleranfälliger werden sie. Daraus ergibt sich ein ökonomischer Zwang zur vitalen Selbstorganisation in den Unternehmen.
■ Die neue Selbstständigkeit. In der entwickelten Erwerbsgesellschaft gibt es eine Vielfalt von Beschäftigungsmöglichkeiten. Tausende neuer Berufsformen und Tätigkeitsvarianten entstehen – wer wusste gestern, dass ein Elektriker auch Solarenergie und Hauselektronik beherrschen sollte? Was ein Wellnessberater macht? In der Vergangenheit gab es in jedem Viertel ein Nagel- und Schönheitsstudio. Heute arbeiten allein in Berlin rund 20 000 Yoga-Lehrerinnen und -lehrer. Auch ohne den oft unterschätzten Sektor der Schwarzarbeit multiplizieren sich die Erwerbsformen. Dies erzeugt auf längere Sicht eine neue Autonomie der »Nehmenden«, die auf vielfältige Weise zu »Gebern« ihrer Arbeit werden. Die Kreativen, die Flexiblen, die Könner wandern ab in einen Sektor der positiven Prekarisierung.
Für den traditionellen
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