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Das Merkbuch

Titel: Das Merkbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rutschky
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misslingt.

    Was in den Merkbüchern der drei Jahre regelmäßig zur Mitteilung drängt, sind die Zahlungen an Wegener, die Pension in Mannheim, in der Vater wohnt, wenn er die Bücher der Hommelwerke oder Stromeyers prüft.

    Wegener zur Aufbewahrung DM 300
    An Wegener DM 150
    Wegener abgerechnet. An Wegener DM 250
    Von Wegener DM 150
    An Wegener DM 200
    Wegener bis 28. V. bezahlt DM 178. Guthaben DM 22
    Wegener bis 6. VI . bezahlt

    Wegener scheint zeitweise als Depot zu funktionieren: Vater zahlte ein und erhielt immer wieder Auszahlungen. – Eine zweite solche Aufzeichnungssorgfalt findet sich im Jahr 1958: Im November arbeitet Vater wieder bei der Einfuhr- und Vorratsstelle, Frankfurt/Main (Kapitelüberschrift) und notiert regelmäßig Mietzahlungen für ein Fremdenzimmer, das, wenn man den Adressenteil des Kalenders zu Rate zieht, Frau Harms in der Windmühlstraße 16 anbietet.

    Miete vom 6. bis 15. XI . 1958 9 × 6 54
    Miete 17. – 24. XI . = 7 Tage à 6 = 42
    DM 48 Miete bis 23. XII . bezahlt

    Wegener in Mannheim wurde ein persönlicher Vertrauter. Ihn zu bezahlen – oder sich die Einlage auszahlen zu lassen – kam einem Freundschaftsdienst nahe, den Vater mit Genuss in seinem Merkbuch verewigte. Frau Harms dagegen, möchte man spekulieren, war ein Drache. Vater fühlte sich unter ihrer strengen Kontrolle, wenn er in dem Fremdenzimmer logierte. Ihre Blicke sagten stets, dass er ihr was schuldig war. Um seiner Freiheit willen, bezog er das auf die Bezahlung des Fremdenzimmers – denn so konnte er das Schuldigsein vermindern. So gewann er jedes Mal tiefe Befriedigung daraus, dass er die Miete an Frau Harms im Merkbuch eintragen konnte, eine Befriedigung, die andere Aufzeichnungen ihm schon lange nicht mehr schenkten.
    Mutter taucht immer wieder irgendwo auf, so die Psychoanalyse, wenn man es nicht geschafft hat, Kapitän auf großer Fahrt zu werden. Gern verpuppt sich Mutter in Vermieterinnen, deren Räumlichkeiten man nur vorübergehend bewohnt. So war es ja auch bei Mutter.

    Am 1. April 1957 (kein Eintrag in Vaters Notizkalender) rückten die ersten Wehrpflichtigen in die Kasernen der Bundeswehr ein. Vater, von seinen Erinnerungen an den Kaiser und den Ersten Weltkrieg geleitet, hielt bei den üblichen Gelegenheiten heftige Reden gegen die deutsche Wiederbewaffnung. Dass Deutschland wieder über Soldaten verfüge, erklärte der Sohn Tante altklug, erfülle ihn mit Befriedigung – und Tante schien hoch erfreut. Dass der Bundeskanzler gleich Atomwaffen für die Bundeswehr forderte, löste bei Vater eine ausführliche Hasstirade aus. Mutter redete voller Wohlwollen von den 18 Atomwissenschaftlern, die in Göttingen, wie sie erzählte, sich strikt gegen Atomwaffen ausgesprochen hatten. So gehört sich das. Ein Heiliger dieser Zeit, Albert Schweitzer, der Arzt von Afrika, warnte vor den, wie er sagte, Atomstrahlen, die der Sohn so heftig für seinen Weltallinnenraum benötigte. Wir schicken niemand anderes als Hans Speidel zum Kommandostand der Nato, tobte Vater, einen verdienten Hitler-General. Alle sind sie jetzt wieder da, alle.
    Am 15. September 1957 (morgen wird Vater sich an die Bücher der Kleinbahn Kassel–Naumburg machen, deren Verwaltung in Frankfurt am Main residiert) gewinnen Konrad Adenauer und die CDU / CSU bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit der Parlamentssitze – noch tiefer erschütterte Vater der Untergang des Segelschulschiffs Pamir am 21. September. Nur sechs der 86 Besatzungsmitglieder überlebten – aber mit dem tiefsten Schmerz redete Vater vom Verlust des schönen, des prachtvollen Segelschiffs. Er war den Tränen nahe; seine eigene Jugend, als er sich auf die Kommandobrücke eines solchen Schiffes träumte, ging mit der Pamir verschütt – er könnte der Kapitän sein.
    Am 4. Oktober 1957 schickt die Sowjetunion den Sputnik in die Erdumlaufbahn, eine silberfarbene Kugel, von der ohne Eleganz Antennen abstehen, und den Sohn enttäuschte das unbemannte Raumschiffchen, wenn er es mit der Nautilus oder seinem zum Weltraum-Shuttle umgebauten Messerschmidt-Kabinenroller verglich; zu schweigen von der durch das All schwebenden Stadt unter der Plexiglaskuppel. In den Augen des Sohnes versagt die SU bei der Eroberung des Weltalls. – Den USA teilte der Sputnik mit, dass der Sowjetsozialismus vor der kapitalistischen Demokratie, vor der freien Welt, wie man damals sagte, den Raum erobern könnte.
    Am 15. Oktober 1957 nehmen die DDR und die Sozialistische Föderative Republik

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