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Das Midas-Kartell

Das Midas-Kartell

Titel: Das Midas-Kartell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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ein wenig protzig geratener Landsitz. Allmählich begann er, sich wohler zu fühlen. Mit protzigen Landsitzen kannte er sich aus.
    Pieter verfiel in Laufschritt und trabte an den Garagen mit Ramirez’ Fuhrpark vorbei. Aus der Ferne drang Hundegebell und Vogelgezwitscher herüber. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, führte durch einen streng angelegten Garten voller Springbrunnen, deren Sprühnebel sich kühl auf seine Haut legte. Er erhöhte das Tempo und trat schwerer in den Kies unter seinen Füßen. Da war ein Weg, der vom Garten wegführte, zwischen den Bäumen hindurch auf die Berge zu. Der Schatten unter dem Blätterdach war angenehm. Selbst zu dieser frühen Stunde brannte die Sonne bereits. Das Bellen wurde lauter. Ob er sich der äußeren Einfriedung näherte, um die Ramirez’ Privatarmee mit Hunden patrouillierte? Hinter ihm ertönten die Geräusche eines sich nähernden Fahrzeugs. Er blickte sich um und verlangsamte seine Schritte, ehe er den Weg verließ und in den Schatten der hohen Bäume trat, um es vorbeizulassen. Obwohl er dem herannahenden Jeep zuwinkte, bemerkten ihn die Insassen nicht. Der Fahrer hatte eine Kappe tief in die Augen gezogen. Der Mann neben ihm sah älter aus und hielt sich an der Tür fest, während sie über Bodenwellen holperten. War das Ramirez? Das Auto schoss vorbei. Hinten saß ebenfalls jemand. Zwei Gestalten, eine davon groß und aufrecht, die andere gekrümmt, mit sonderbar verdrehtem Kopf.
    Wenig später bog der Wagen in den Wald ein. Der Motor wurde abgestellt. Stimmen ertönten. Autotüren wurden geöffnet und zugeschlagen. Ein spitzer Schrei, der unvermittelt abbrach. Pieter wusste, dass er besser umkehren und zum Haus zurückgehen sollte, aber er konnte nicht. Irgendetwas bewog ihn, sich zwischen den Bäumen hindurchzuschleichen. Vielleicht wollte er die Chance ergreifen, hinter Ramirez’ Maske zu blicken, um den Mann zu verstehen, mit dem er Geschäfte machte. Vielleicht war es aber auch eine morbide Neugier, die ihn antrieb: Was würde mit dem Mann im Auto geschehen? Vor jedem Schritt prüfte er den Boden vor seinen Füßen. Lautlos bewegte er sich vorwärts, so wie auf der Jagd in den schottischen Highlands. Die Pflanzen waren feucht und machten nicht das geringste Geräusch. Die Stimmen wurden lauter, die Hunde bellten unablässig.
    Durch die Bäume war kaum etwas zu erkennen. Unterbrochene Konturen, rasche energische Bewegungen, etwas blitzte weiß auf, dann erklang Ramirez’ Stimme, das Geräusch von Autotüren, die geöffnet und geschlossen wurden, und ein startender Motor. Der Jeep fuhr zwischen den Bäumen hindurch zurück auf den Weg. Pieter duckte sich und sah dem Wagen nach. Dann bahnte er sich einen Weg durch das Unterholz zu der Lichtung, wo sie geparkt hatten, und blieb reglos stehen.
    Ein Mann lag bäuchlings auf dem Boden, der ihn zu verschlingen schien, während sich die Erde um ihn herum zunehmend rötlich färbte. Er wand sich mühsam und versuchte, in quälend langsamem Tempo vorwärtszukriechen. Seine Arme und Beine waren nur noch blutige Stümpfe, Pieter musste an eine Schildkröte denken. Sein gepresster Atem kam stoßweise und war zu schwach, um seinen Qualen angemessen Ausdruck zu verleihen. Pieter blickte in die Richtung, in die der Gepeinigte steuerte. Da lag ein Unterarm mit einer Hand, der sich blass vom Waldboden abhob. Die Handfläche war geöffnet, als strecke sie sich ihm entgegen, um ihm zu helfen. Pieter blinzelte. Weitere Gliedmaßen lagen verstreut wie Teile eines zerbrochenen Spielzeugs. Ein Schäferhund tauchte zwischen dem Bäumen auf und trabte auf den verstümmelten Mann zu. Der große Hund schnüffelte an ihm, sodass die Kette um seinen Hals rasselte, und ließ dann von ihm ab. Stattdessen packte er den Unterarm mit den Zähnen und verschwand wieder im Wald. Der Mann kollabierte. Sein Atem ging in schweren, keuchenden Stößen, und er zuckte und bebte am ganzen Körper. Dann lag er still.
    Pieter blickte über den See. Das Morgenlicht schimmerte auf der glatten Oberfläche. Was ihn bei diesem Aufenthalt in Guatemala am meisten verstört hatte, war nicht der Anblick des Sterbenden gewesen, sondern das entspannte Lächeln im Gesicht von Ramirez, als er ihn danach beim Frühstück begrüßte, die Professionalität, mit der er die Zahlen durchging und

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