Das Midas-Komplott - Thriller
Zentimeter an, sodass er sie deutlicher erkennen konnte. Die Adern, Sehnen, Muskeln und Knochen waren an der Schnittstelle bis auf das kleinste Kapillar mit allen Einzelheiten ausgeführt. Jede Pore und jedes Fältchen auf dem Handrücken waren wiedergegeben. Sogar das feine Gitterwerk des Knochenmarks fehlte nicht. Als hätte man eine Querschnittzeichnung in einem Anatomiebuch vor sich.
»Die fehlende Hand der Tochter des Midas«, sagte Orr stolz. »Ich habe sie im vergangenen Jahr erworben. Sie gehört zu der Skulptur, die ich als Junge gesehen habe.«
»Sie kann nicht echt sein«, wandte Tyler ein.
Stacy schüttelte langsam den Kopf. »Ich kenne diese Hand.«
Tyler sah sie zutiefst erstaunt an. »Du kennst sie?«
»Im vergangenen Jahr waren die Nachrichten voll davon. Jemand hatte das Tresorgewölbe eines Londoner Auktionshauses ausgeraubt. Das kostbarste Beutestück war eine goldene Hand.«
Sie erinnerte sich lebhaft daran, weil die Experten über diese Hand verblüfft gewesen waren. Man hatte keine Ahnung, wie sie hergestellt worden sein könnte.
»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich weiß, was ich suche«, sagte Orr.
»Sie haben zwei Wachmänner getötet.«
Orr zuckte mit den Schultern. »Sie waren im Weg.«
Stacy verzog angewidert den Mund darüber, dass Orr die Morde als Bagatelle abtat.
»Aber das kann unmöglich eine echte Hand sein«, sagte Tyler. »Es muss sich um ein Kunstwerk handeln.«
»Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie, dass es unmöglich ist, dergleichen in einer Form zu gießen oder zu meißeln.«
Stacy studierte die Hand noch einmal und sah, dass Orr recht hatte. Die Überschneidungen von Adern und Sehnen, ihre Anordnung in der Hand hätte selbst ein begnadeter Goldschmied nicht so fein ausführen können.
»Wie viel ist so etwas wohl wert?«, fragte sie sich laut.
Orr gab ihr eine Antwort. »Bei dem heutigen Goldpreis an die achtzigtausend Dollar. Nur nach dem Gewicht, natürlich. Ich wette, die Hand würde auf einer Auktion mehrere Millionen einbringen. Das heißt, falls sich überhaupt ein Käufer findet. Gestohlene Ware wird man schwer wieder los.«
»Warum zeigen Sie sie uns?«, fragte Tyler.
»Weil Sie wirklich davon überzeugt sein müssen, dass es das gibt, was Sie suchen. Sonst halten Sie mich für einen Spinner, der hinter einem Phantom herjagt. Sie würden mir nur etwas vormachen und hoffen, dass Sie Ihren Vater finden. Was Sie übrigens komplett vergessen können.«
»Sie haben alles im Griff, stimmt’s?«, sagte Tyler.
Orr grinste wieder. »Nicht alles. Deshalb brauche ich Sie beide.«
»Ja dann«, sagte Tyler. »Wir folgen Ihren Anweisungen.«
Orr streckte die Hand aus. »Ich nehme wieder die Tasche.« Tyler schloss den Reißverschluss und reichte sie ihm.
»Und jetzt?«, fragte Stacy.
»Angenommen, wir nehmen Ihnen Ihre Geschichte ab«, begann Tyler. »Angenommen, ›die Gabe des Midas‹ gibt es tatsächlich, und irgendwo unter Neapel liegt ein Schatz begraben. Sie haben ihn schon gesehen. Sie wissen, wo er ist. Warum gehen Sie nicht einfach hin und holen ihn? Wozu der ganze Aufwand? «
»Ich habe ihn zwar schon einmal gesehen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich weiß, wie ich ihn wiederfinde.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Stacy.
»Die Geschichte ist lang und kompliziert, aber sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Zu dem Schatz führen zwei Wege. Der Weg, den Gia und ich damals genommen haben, ist nicht mehr offen, die Gründe dafür können Ihnen egal sein. Deshalb muss ich den zweiten Zugang finden. Den Weg des Archimedes. Mit der Karte, die er hinterlassen hat.«
»Archimedes hat vor über zweitausend Jahren gelebt. Glauben Sie allen Ernstes, dass diese Karte noch existiert? Oder dass sie noch gültig ist? Neapel ist von den Griechen, Syrakusern, Römern und Italienern überbaut worden. Ohne die Ausbrüche des Vesuv zu berücksichtigen, durch die es in regelmäßigen Abständen unter Asche begraben wurde.«
»Als Gia und ich in den Höhlen waren, kamen wir zu einer Zisterne, in die hoch über unseren Köpfen Licht durch einen Brunnen fiel. Das ist der Eingang, den ich suche. Leider gibt es Abertausende von Brunnen in Neapel. Nicht alle sind auf Karten erfasst, und viele sind verschüttet.«
»Warum der Test auf der Fähre?«, fragte Tyler.
»Ich hätte Sie für diesen Auftrag ja wohl nicht so einfach anheuern
können, oder?«, konterte Orr. »Sie hätten mich angezeigt. Nachdem Sie das Rätsel des Archimedes gelöst haben,
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