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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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zurechtgefunden?«
    »Gut.«
    »Und was unterrichten Sie eigentlich?«
    »Bis jetzt unterhalte ich mich mit den Studenten.«
    »Miroslav Krleža ist ein großer Schriftsteller!«, sagte er.
    »Ihre Tschechen sind auch nicht schlecht.«
    »Wie ertragen Sie das holländische Wetter? Die Ausländer beklagen sich am meisten über das Wetter …«
    »Die Karibik ist es nicht gerade, aber …«
    »Und Ihnen ist nicht langweilig?«
    »Warum sollte es?«
    »Weil dies das langweiligste Land der Welt ist!«
    »Ist das nicht ein Widerspruch?«
    »Was?«
    »Dass das Land langweilig und zugleich scheinheilig ist?«
    »Aber es ist so, Holland ist langweilig und scheinheilig.«
    »Ich dachte, nur die Osteuropäer spucken auf sich selbst …«
    »Nein, wir sind die Weltmeister! Aber seien Sie vorsichtig! Im Grunde denken wir nur gut über uns. Arroganz der Kolonialherren. Die Kolonien haben wir aufgegeben, aber die Arroganz behalten. Auch das werden Sie mit der Zeit erkennen.«
    Er sah auf die Uhr und erhob sich.
    »Wenn Sie Probleme haben, kommen Sie ruhig vorbei, und wir gehen einen Kaffee trinken. Das letzte Zimmer links, das kleinste auf der ganzen Etage. Ihres ist viel größer. Ihr Ex-Jugoslawen steht derzeit besser da als wir Tschechen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Der Nationalismus, der Krieg, der Postkommunismus, die Rolle Hollands bei alldem …«
    »Leider.«
    »Das war ein wunderbares Land! Dubrovnik ist die schönste Stadt, die ich je gesehen habe. Mir will nicht in den Kopf, wie Ihnen all das geschehen konnte!«
    »Meinen Sie mir?«
    »Natürlich nicht. Wenn Sie einem ein Messer in den Bauch rammen, machen Sie einen solchen Lärm, dass es gleich alle Welt erfährt. Wir machen das so still, dass keiner etwas bemerkt, selbst das Opfer ist uns dankbar. Aber wir werden uns über alles noch unterhalten. Ich freue mich, Sie kennen gelernt zu haben.«
    Er wandte sich zur Tür und hielt kurz inne.
    »Wie hieß noch die Insel, deren Namen kein Ausländer aussprechen kann?«
    »Krk!«
    »Ja, Hhhrhk«, sagte er, lachte und winkte zum Abschied.

    Die slawistische Etage wirkte so verlassen, dass ich eigentlich keinen Grund hatte, mich als blinder Passagier zu fühlen. Die Sekretärin wollte ich nichts mehr fragen. An Draaismas Zimmer klopfte ich nicht mehr. Dreimal ging ich zu Wims Zimmer, das wirklich kleiner war als meins. Alle drei Male entschuldigte er sich damit, im Augenblick keine Zeit zu haben, und drückte mir, wohl als Trost, einen seiner wissenschaftlichen Artikel mit Widmung in die Hand. Einer behandelte KarelČapek und sein Holland-Erlebnis, der zweite den Frauenhass in Kunderas Romanen und der dritte den »sprachlichen Hedonismus« in der Prosa von Bohumil Hrabal.
    So wurde auch nichts aus unserem Besuch im Café. Mein einziger »lebender« Kontakt in der Abteilung blieb die rundliche Russischlektorin mit dem unsichtbaren Sandwich. Wenn sie meinen Blick im Vorübergehen erhaschte, schluckte sie hastig einen imaginären Bissen hinunter und sagte sanft ihr
sdrawstwuitje
.
    Alles in allem wirkte die Abteilung freudlos. Das wurde dadurch verstärkt, dass die dort beschäftigten Slawisten »typisch« waren. Die Westeuropäer unter ihnen hatten nämlich das Fach aus emotionalen Gründen gewählt, weil sie in einen »Ostler« oder eine »Ostlerin« verliebt waren. Das Fachgebiet war umso attraktiver, als sie die absoluten Herrscher über kleine, abgelegene literarisch-sprachliche Provinzen waren, in die nie jemand seinen Fuß setzte, so dass die Möglichkeit einer Überprüfung ihrer Kompetenz statistisch vernachlässigbar war. Ich hatte das geringste Recht, darüber zu urteilen. Außerdem hatte ich die zwei Semester dank der Tatsache bekommen, dass ich Ines kannte, dass Ines mit Draaisma verheiratet und er inzwischen Chef geworden war.

8.
Ana: Die rot-weiß-blau gestreifte Plastiktasche
    Die Tasche ist aus Plastik und an den roten, weißen und blauen Streifen erkennbar. Das billigste Reisegepäck der Welt, eine proletarisch-höhnische Antwort auf die »Louis-Vuitton«-Taschen. Sie hat einen Reißverschluss, der schnell kaputtgeht. In meiner Kindheit quälte mich die Frage, wie Schokolade oder Marmelade in die harten Bonbons kommt, ohne dass man ein Loch oder eine Naht sieht. Heute quält mich eine ebenso kindliche Frage: Wer hat diese Tasche erfunden und millionenfach in Umlauf gebracht? Die Plastiktasche mit den roten, weißen und blauen Streifen sieht aus wie eine Parodie auf die jugoslawische Fahne ohne den roten

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