Das Missverstaendnis
Blumengeschäft anhalten und stieg aus; sie wartete einen Moment. Er kam mit einer einzelnen Orchidee zurück, in Seidenpapier eingeschlagen wie ein Schmuckstück, ein kostbares Wunder mit gelappten Blütenblättern und samtweichem dunkelrotfeurigem Innerem.
»Oh, wie schön sie ist!« rief Denise hingerissen.
»Gefällt sie Ihnen wirklich?« fragte Yves. »Ich mag diese Blumen, aber noch mehr liebe ich Rosen. Es gab nur gerade keine mehr. Da habe ich diese hier genommen. Manche Frauen sind wie Orchideen, nicht?« fügte er lächelnd hinzu. »Wenigstens scheinen sie das selbst zu glauben. Sie nicht, gottlob. Sie sind so natürlich und so einfach. Sie sind wie eine Rose, Denise, wie eine wunderschöne Rose aus einem Garten in England, mit zarten fleischfarbenen Blütenblättern und einem dunkleren Herzen, ja, und Sie duften auch wie eine Rose, meine Liebste.«
Denise hatte den Kopf an Yves’ Schulter gelegt und hörte ihn reden. Sie war wie berauscht, hielt die Augen geschlossen und gab sich seinen Worten hin wie ein Kind, dem man ein Märchen erzählt. Dann schwieg er und begann, sie ganz leicht zu wiegen. Da sagte sie leise, mit weit geöffnetem Herzen, strahlend: »Ich liebe dich.« Sie wartete mit dem wachsamen Instinkt einer Frau auf das Echo, das ewige »Ich liebe dich«, eher geahnt als wirklich gehört. Doch er sagte nichts. Er begnügte sich damit, sie noch ein wenig fester an sich zu drücken.
12
S ie fürchtete sich ein wenig davor, zu ihm nach Hause zu gehen: Womöglich wohnte er in irgendeinem möblierten Zimmer, wo sie sich unbehaglich fühlen würde. Daher war sie aufs angenehmste überrascht, als sie seine Räume betrat, die er seit 1912 fast unverändert hatte erhalten können; man sah, daß jeder Gegenstand darin mit Liebe ausgewählt worden war, es gab bequeme Möbel, die er vor dem Krieg in England gekauft hatte, einen großen Kamin, in dem ein Holzfeuer brannte; im Schlafzimmer war ein kleines Abendessen hergerichtet worden, mit Früchten in einer herrlichen böhmischen Kristallschale, Wein in einer alten Karaffe mit Silbergriff, und das Ganze war beleuchtet von zwei geschickt auf vergoldete alte Kandelaber montierten Lampen mit rosafarbenen Schirmen.
Yves schien zwischen all diesen geschmackvollen und kostbaren Dingen wirklich zu Hause zu sein; sie war fasziniert von der plötzlichen Veränderung seines Gesichts. Gestern noch war er alt, matt, fast häßlich gewesen; heute war er schön und jung.
Sie lernte Pierrot kennen, den kleinen Hund, der an ein Lämmchen mit krausem Fell erinnerte und ein weiches rosafarbenes Band um den Hals trug. Dann zeigte er ihr seine kleine Sammlung von Parfümfläschchen. Er bestand darauf, ihr eines davon zu schenken: Es stammte aus der Zeit von Elizabeth I. und trug ihr Wappen in angelaufenem Silber auf dem dunkelblauen Glas, das im Licht schimmerte wie ein kostbarer Edelstein.
»Ich bitte Sie, es anzunehmen«, sagte er, als sie es nicht gleich nehmen wollte. »Wenn Sie wüßten, was für ein Vergnügen es für mich ist – es kommt ja leider so selten vor! –, jemandem etwas zu schenken … Ich bitte Sie …«
Dann zeigte er ihr die Porträts seiner Eltern; er sprach von seinem Vater, erzählte einige seiner Abenteuer, zum Beispiel, wie er aus Liebe zu einer russischen Artistin seine Frau und seinen Sohn verlassen hatte: Er hatte ein Jahr mit ihr zusammengelebt, in der Nähe von Nizza, in der Villa Snigurotschka, in der, weil die Artistin hellblond war und Weiß liebte, alle Einrichtungsgegenstände weiß sein mußten, es gab viel Marmor, Alabaster, Kristall; in dem dazugehörigen Garten wuchsen ausschließlich schneeweiße Pflanzen, Tuberosen und Kamelien, und es gab weiße Pfauen und in den drei Teichen herrliche Schwäne. Die Russin war dort gestorben, und der Vater war zu seiner Frau zurückgekehrt.
»Sie hat ihm verziehen, wie so viele Male«, sagte Yves. »Ja, sie hat ihm immer verziehen. Wenn er sie betrog, war es immer wie ein künstlerischer Akt … Man konnte ihm nicht böse sein … Und außerdem war er unwiderstehlich … Er hatte die Anziehungskraft der Menschen, die von allen geliebt werden. Und wenn er liebte, gab er sich mit Haut und Haaren der Geliebten hin, und es war jedesmal für immer … Wir Heutigen können nicht mehr auf solche Weise lieben …«
Er saß Denise zu Füßen, hatte ihre Knie umschlungen und blickte unentwegt in das prasselnde Kaminfeuer.
»Warum?« fragte Denise.
Er antwortete mit einer unbestimmten
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