Das Missverstaendnis
an. Ich bin häßlich geworden, das weiß ich. Warum? Ist die Liebe das Übel, oder erfinde ich Ungeheuer, wie Francette, wenn sie sich selbst Märchen erzählt von bösen Hexen, um sich Angst zu machen, wie sie sagt?«
Madame Franchevielle schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich glaube, deine Krankheit hat einen Namen: Egoismus …«
»Er ist egoistisch …?«
»Du auch.«
Denise fuhr auf, aber sie blieb stumm.
»Hör mir zu, meine Kleine, ohne dich gleich aufzuregen. Du wirst sehen, daß ich recht habe. Stell dir doch nur vor, wie verschieden ihr seid, wenn ihr zu euren Treffen kommt. Du hast den ganzen Tag keine andere Sorge gehabt als die, ein Kleid auswählen zu müssen, das ihm gefällt, und er ist mit tausend Dingen beschäftigt gewesen, ist müde, gereizt, nervös … Er hat den ganzen Tag seine liebe Mühe damit gehabt, sein tägliches Brot zu verdienen … Weißt du überhaupt, was das bedeutet, verwöhntes Kind, das du bist? Und du wunderst dich über eure Unstimmigkeiten! Egoistin … Ach, mein Liebes! Die Liebe ist ein Gefühl, das nur im Luxus gedeiht …«
Denise dachte nach. Nervös verschränkte sie ihre Hände und löste sie wieder voneinander. Endlich sagte sie:
»Dasselbe habe ich ja selbst schon so oft gedacht, Maman … Und doch, warten Sie … Mein Dienstmädchen hat einen Liebhaber, einen Mechaniker. Er arbeitet den ganzen Tag, noch härter als Yves; aber abends kommt er zu ihr, in ihr Zimmer im sechsten Stock, und sie sind glücklich … Und die anderen, so viele andere, alle Männer! Mein Ehemann, unsere Freunde, alle! Die Zeiten der reichen Lebemänner, die Frauen und Krawatten sammelten und sonst nichts taten, sind doch längst vorbei. Nichts tun! Da würden sie Hungers sterben, diese Traumprinzen!«
»Ja, und deshalb arbeiten sie, und einige von ihnen sind sehr unglücklich dabei. Harteloup wird sich nie daran gewöhnen können, jeden Tag um halb acht aufzustehen, an der nächsten Kreuzung auf den Bus zu warten, auch wenn es regnet, und im übrigen rechnen zu müssen, sparen zu müssen, gehorchen zu müssen … Es ist nicht seine Schuld. Du sagst: die anderen. Meinst du deinen Mann? Du betrügst ihn ja … Yves kommt dir gemein vor … Er ist vielleicht wirklich gemein. Aber er ist nun einmal der Mann, den du liebst.«
Denise hörte nicht länger zu. Mit einem sanften Kopfschütteln sagte sie leise:
»Meine Liebe ist für ihn wahrscheinlich so etwas wie ein wiedergefundener Luxus …«
»Wer weiß? Vielleicht bringt sie ihn gerade deshalb in Verlegenheit. Wie ein armer Gast, der in einem luxuriösen Zimmer untergebracht ist. Und außerdem verlangt ihr so verschiedenartige Dinge von der Liebe! Dein Leben ist immer so ruhig, so ungestört, so gleichförmig gewesen … Natürlich brauchst du deshalb die aufregende Liebe, überschwengliche Freuden und neuartige Leiden – und du brauchst Worte, immer wieder Worte, Worte …«
»Und er, was braucht er?«
»Ganz einfach Ruhe, Erholung …«
»Maman, was soll ich tun?«
»Was du tun sollst? Ihn vielleicht weniger lieben. Das Übermaß an Liebe zeugt von großer Unbeholfenheit, manchmal ist es ein Unglück … Meine arme Tochter … Wie hart das ist, nicht? Und schwer zu verstehen … Das ist das Leben … Das Leben wird dich lehren, wie es mich gelehrt hat … Ein Mann will nicht zu sehr geliebt werden, weißt du … Ich sage dir jetzt, wem ich diese Erkenntnis verdanke, wann ich sie zum ersten Mal hatte … Dein armer kleiner Bruder, der tot ist … Erinnerst du dich noch an ihn, Denise?«
»Ich war so klein … Sie haben ihn sehr geliebt.«
»Ich habe ihn über alles geliebt, Denise, wie eine Mutter nur einen Sohn lieben kann … Dieses Staunen über den kleinen Mann, den man hervorgebracht hat … Das kannst du nicht verstehen. Es war mein Erstgeborener, mein Sohn … Er war so schön … Ich war wahnsinnig vor Liebe … Ich habe ihn die ganze Zeit abgeküßt, mit ihm geschmust, ihn mit Zärtlichkeiten überschüttet … Eines Tages … er war zweieinhalb, der arme Engel, und drei Monate später sollte er sterben … Als ich ihn wieder einmal so fest umarmte, schob er mich mit seinen kleinen Händen weg … ›Maman, du hast mich zu sehr lieb, ich kann nicht mehr atmen …‹ Er war schon ein Mann …«
Denise schwieg. Dann sagte sie mühsam, mit einem kleinen harten und freudlosen Lächeln:
»Alles, was Sie sagen … Wissen Sie, auf welche Idee mich das bringt? Das Vernünftigste wäre eigentlich, wenn ich Yves betrügen
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