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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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halten. Keine Bange, in ein paar Stunden ist sie wieder auf Normalmaß geschrumpft. Zimmerdecken sind natürlich ihr größter Feind. Ach, Sally? Geh und such Frau Unvermut. Lauf!«
    Sie wedelte mit der Hand, und die jüngere Hexe huschte nervös zur Tür hinaus. Frau Prusts Befehl war ihr Befehl. Dann wandte Frau Prust sich wieder Tiffany zu. »Das Ding, das hinter dir her ist, hat jetzt einen Körper, junge Dame. Es hat den Körper eines Mörders gestohlen, der im Tanty eingebuchtet war. Und weißt du was? Bevor er ausgebrochen ist, hat er seinen Kanarienvogel umgebracht! Diese Kerle würden ihren Kanarienvögeln nie etwas zuleide tun. Undenkbar. Es kann schon mal vorkommen, dass man einem Mitgefangenen bei einer Revolte eine Eisenstange über den Kopf zieht, aber man tötet keinen Kanarienvogel. Niemals! Das wäre böse .«
    Frau Prust packte den Stier bei den Hörnern. Lange um den heißen Brei herumzureden, war ihre Sache nicht – genauso wenig wie Beschwichtigungen.
    »Ich dachte mir schon, dass so etwas passieren würde«, sagte Tiffany. »Ich habe damit gerechnet. Wie sieht er aus?«
    »Wir haben ihn ein paar Mal aus den Augen verloren«, antwortete Frau Prust. »Weil wir dem Ruf der Natur folgen mussten und so. Könnte sein, dass er unterwegs irgendwo eingebrochen ist, um sich neue Kleidung zu beschaffen. Aber der Körper wird ihm egal sein. Er hetzt ihn so lange, bis er einen anderen findet oder bis der jetzige sich in seine Bestandteile auflöst. Wir werden nach ihm Ausschau halten. Und das hier ist also dein Revier?«
    Tiffany seufzte. »Ja. Und jetzt ist er hinter mir her wie der Wolf hinter dem Lamm.«
    »Wenn dir was an deinen Leuten liegt, musst du ihn möglichst schnell erledigen«, sagte Frau Prust. »Ein ausgehungerter Wolf frisst alles. Aber jetzt verrätst du mir mal, wo deine Manieren abgeblieben sind, Fräulein Weh. Wir sind nass und durchgefroren, während es, wenn mich meine Ohren nicht täuschen, unten etwas zu essen und zu trinken gibt.«
    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte Tiffany. »Und das, nachdem Sie extra zu mir rausgeflogen sind, um mich zu warnen. «
    Frau Prust wischte ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung beiseite. »Die Lange-dünne-kurze-dicke-Sally und Frau Unvermut können nach dem langen Flug bestimmt eine kleine Stärkung vertragen, aber ich würde mich lieber ein bisschen ausruhen.« Zu Tiffanys Entsetzen ließ sie sich rückwärts auf das Bett der Herzogin fallen, nur noch die triefnassen Stiefel über die Kante ragten. »Diese Herzogin«, sagte sie. »Hat sie dir Ärger gemacht?«
    »Leider ja«, antwortete Tiffany. »Sie hat vor keinem Menschen Respekt, höchstens vielleicht vor einem König, und selbst da wäre ich mir nicht so sicher. Und sie hat ihre Tochter total unter der Fuchtel«, fügte sie hinzu. »Die übrigens eine Kundin von Ihnen ist.« Und dann erzählte sie ihr alles über Lätitia und die Herzogin, weil Frau Prust eine Frau war, der man einfach alles erzählte. Je länger die Geschichte dauerte, desto breiter grinste Frau Prust, und Tiffany hätte keine Hexe sein müssen, um zu erraten, dass sich die Herzogin auf einiges gefasst machen konnte.
    »Dachte ich‘s mir doch. Ich habe noch nie ein Gesicht vergessen. Weißt du, was ein Varietee ist, mein Kind? Ach, was. Dumme Frage. Bei euch hier draußen gibt es das bestimmt nicht. Jedenfalls treten da Komiker, Sänger und sprechende Hunde auf – und natürlich auch Tänzerinnen. Du ahnst, woher der Wind weht? Keine schlechte Arbeitsstelle für ein hübsches Mädchen, das gern mal eine kesse Sohle aufs Parkett legt, vor allem, wenn nach der Vorstellung die ganzen noblen Herren vor dem Bühnenausgang warten, um sie piekfein zum Essen auszuführen und so weiter.« Die Hexe nahm ihren spitzen Hut ab und ließ ihn neben dem Bett auf den Boden fallen. »Ich kann Besen nicht ausstehen«, sagte sie. »Darauf kriegt man Schwielen, wo kein Mensch Schwielen haben sollte.«
    Tiffany war ratlos. Sie konnte Frau Prust nicht befehlen, aus dem Bett zu steigen; es war ja nicht ihr Bett. Und es war auch nicht ihre Burg. Sie schmunzelte. Im Grunde war es auch gar nicht ihr Problem. Wie schön, mal einem Problem zu begegnen, das nicht ihres war.
    »Frau Prust«, sagte sie. »Könnte ich Sie vielleicht überreden, mit nach unten zu kommen? Es sind heute ein paar Hexen hier, die Sie unbedingt kennenlernen müssen.« Und zwar am besten, wenn ich nicht mit im Raum bin, ergänzte sie im Stillen. Aber das wäre wohl kaum

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