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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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als neuen Schullehrer angelernt hatte, von Prüfungen und Ärzten und dem Gratishospital von Lady Sybil, welches – und jetzt wurde es wirklich interessant – soeben einen neuen Lehrling eingestellt hatte, nämlich einen gewissen Preston. Wahrscheinlich deshalb, weil er jedem, der ihm sein Ohr lieh, selbiges im Nu abquatschen konnte, und sich deshalb besonders gut für die Chirurgie zu eignen schien.
    »Viel Urlaub werde ich wohl nicht bekommen«, sagte er. »Als Lehrling stehen einem nicht so viele freie Tage zu, und ich muss jede Nacht unter dem Sterilisator schlafen und auf die ganzen Sägen und Skalpelle aufpassen, aber dafür kenne ich schon alle Knochen auswendig!«
    »Na, mit dem Besen ist es ja keine Entfernung«, sagte Tiffany.
    Prestons Miene wurde ernst. Er steckte die Hand in seine Tasche und holte ein in zartes Seidenpapier eingeschlagenes Etwas heraus, das er ihr wortlos überreichte.
    Tiffany wickelte es aus. Sie wusste – mit hundertprozentiger Sicherheit –, dass es die goldene Häsin sein würde. Es war absolut unmöglich, dass es etwas anderes hätte sein können. Sie suchte nach den richtigen Worten, doch Preston konnte ihr aus seinem großen Vorrat problemlos aushelfen.
    Er sagte: »Fräulein Tiffany, deines Zeichens Hexe … wärst du so freundlich, mir eine Frage zu beantworten? Was für ein Geräusch macht die Liebe?«
    Tiffany sah in sein Gesicht. Das Lärmen vom Tauziehen verstummte. Die Vögel stellten das Singen ein. Die Heuschrecken hörten auf, ihre Beine aneinanderzureiben und blickten hoch. Die Erde bewegte sich ein wenig, als (vielleicht) sogar der Kreideriese sich reckte und die Ohren spitzte, und Stille strömte über die Welt hinweg, bis nichts mehr da war außer Preston, der immer da war.
    Und Tiffany sagte: »Horch.«

Anmerkung des Autors
    Meine Aufgabe ist es, Dinge zu erfinden, und dafür gibt es keine bessere Methode, als sie aus echten Dingen zusammenzubasteln …
    Als ich ein kleiner Junge war, kurz nach der letzten Eiszeit, wohnten wir in einem Häuschen, das Tiffany Weh bekannt vorkommen würde: Wir hatten kaltes Wasser, keinen Strom und einmal in der Woche Badetag. Dafür musste erst die Zinkbadewanne hereingebracht werden, die draußen unter dem Küchenfenster an einem Nagel hing. Es dauerte sehr lange, bis sie voll war, denn meine Mutter besaß nur einen einzigen Kessel, in dem sie das Wasser warmmachen konnte.
    Weil ich der Jüngste war, durfte ich als Erster baden. Danach kamen Mum und Dad an die Reihe und zum Schluss auch noch der Hund, wenn Dad fand, dass er ein bisschen müffelte.
    Bei uns im Dorf lebten auch ein paar alte Männer, die noch im Jurazeitalter geboren waren und für mich alle gleich aussahen: Schlägerkappen und derbe Hosen, die von sehr dicken Ledergürteln gehalten wurden. Einer von ihnen hieß Mr. Allen; er trank kein Wasser aus dem Hahn, weil es, wie er sagte, »nach nichts roch und nach nichts schmeckte«. Er trank Wasser vom Dach seines Hauses, das sich in einer Regentonne sammelte.
    Vermutlich trank er auch noch etwas anderes als Regenwasser, denn seine Nase sah aus wie zwei aufeinandergeprallte Erdbeeren. 31
    Mr. Allen saß immer auf einem alten Küchenstuhl vor seinem Häuschen in der Sonne und ließ die Welt an sich vorüberziehen, während wir Kinder seine Nase beobachteten, für den Fall, dass sie explodieren würde. Eines Tages sagte er aus heiterem Himmel zu mir: »Hast du schon mal brennende Stoppelfelder gesehen, Junge?«
    Hatte ich: zwar nicht bei uns in der näheren Umgebung, aber in den Ferien, wenn wir ans Meer fuhren, und manchmal war der Rauch von den brennenden Stoppeln so dick wie Nebel. Die Stoppeln waren die Reste der Getreidehalme, die nach dem Mähen in der Erde zurückblieben. Das Abbrennen der Felder sollte gegen Krankheiten und Schädlinge helfen, aber es kostete viele Vögel und kleine Tiere das Leben. Aus genau diesem Grund ist das Abflämmen auch schon lange verboten.
    Als eines Tages der Erntewagen durch unsere Straße fuhr, sagte Mr. Allen zu mir: »Hast du schon mal einen Hasen gesehen, Junge?«
    Ich antwortete: »Ja, natürlich.« (Falls Sie noch nie einen Hasen gesehen haben, stellen Sie sich eine Kreuzung zwischen einem Kaninchen und einem Windhund vor, und zwar eine, die ausgezeichnet springen kann.) Mr. Allen sagte: »Die Häsin hat keine Angst vor dem Feuer. Sie zwingt es mit ihrem Blick nieder, dann springt sie drüber weg und landet sicher auf der anderen Seite.«
    Ich muss damals sechs oder sieben

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