Das Mitternachtskleid
draußen gab es kaum eine Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten, und es war außerdem ziemlich neblig. Vorsichtig kroch sie auf allen vieren auf das leise Grollen zu.
»Sind hier irgendwelche Hexen?«, fragte sie.
Aus dem Dunkel kam eine Stimme, die nicht die geringsten Anstalten machte, ihre Gereiztheit im Zaum zu halten. »Und was, bei den sieben Höllen, würdest du tun, wenn ich jetzt nein sage, Fräulein Tiffany Weh?«
» Frau Prust? Was machen Sie denn hier?«
»Mich an einem Wasserspeier festhalten! Hol uns sofort hier runter, Kind. Diese Steine sind nicht meine Steine, und Frau Unvermut muss dringend aufs Örtchen.«
Tiffany schob sich noch ein Stück weiter heran, die eine Hand direkt am Abgrund. »Preston besorgt schon ein Seil. Haben Sie einen Besen?«
»Wir hatten. Bis wir mit einem Schaf zusammengestoßen sind«, sagte Frau Prust.
Jetzt konnte Tiffany sie vor sich ausmachen. »Sie sind mit einem Schaf zusammengestoßen? In der Luft?«
»Kann auch eine Kuh gewesen sein, was weiß ich denn. Oder wie heißen diese Viecher, die schnuffel, schnuffel machen? «
»Sie hatten einen Zusammenstoß mit einem fliegenden Igel?«
»Wie? Was? Nein. Wir waren knapp über der Grasnarbe unterwegs und haben nach einem Busch für Frau Unvermut gesucht.« Irgendwo seufzte es. »Sie hat‘s nämlich an der Blase, die Ärmste. Wenn du wüsstest, bei wie vielen Büschen wir unterwegs einen Zwischenstopp eingelegt haben! Und soll ich dir was sagen? In jedem Einzelnen dieser Dinger hockt irgendwas, das sticht, beißt, tritt, schreit, heult, schmatzt, laut furzt, die Stacheln aufstellt, dich umrennen will oder einen Riesenhaufen macht! Habt ihr Landeier eigentlich noch nie was von Klosetts gehört?«
Tiffany stutzte. »Doch, schon. Aber nicht auf den Feldern!«
»Gerade da würden sie sich lohnen«, sagte Frau Prust. »Ich hab mir ein gutes Paar Schuhe ruiniert.«
Aus dem Nebel drang ein Klirren, gefolgt von Prestons Stimme: »Ich hab die alte Falltür aufgestemmt, meine Damen. Wenn Sie nun bitte so freundlich wären und zu mir herüberkrabbeln würden?«
Die Falltür führte in ein Zimmer, in dem eindeutig eine Frau übernachtet hatte. Tiffany biss sich auf die Lippen. »Ich glaube, hier wohnt die Herzogin. Bitte nichts anfassen, ja? Die Frau ist auch so schon unerträglich genug.«
»Eine Herzogin, hm? Wie nobel«, sagte Frau Prust. »Was für eine Herzogin ist denn das, wenn man fragen darf?«
»Die Herzogin von Souvenir. Sie haben sie bei dem kleinen Tumult in der Stadt gesehen. Wissen Sie noch? Vor dem Königskopf? Die Familie besitzt ein riesiges Anwesen, ungefähr dreißig Meilen von hier.«
»Schön für sie.« Frau Prust ließ durchklingen, dass für jemanden, der nicht Frau Prust war, etwas eher Unschönes um nicht zu sagen Peinliches – für sie selbst aber höchst Interessantes – im Busch war. »Ich erinnere mich an sie, und ich weiß auch noch, was ich dachte, als ich nach der ganzen Aufregung wieder nach Hause kam: Dich hab ich doch schon mal irgendwo gesehen, Gnädigste. Weißt du irgendetwas über sie, Kind?«
»Ihre Tochter hat mir erzählt, dass sie bei einem fürchterlichen Brand ihren ganzen Besitz und ihre gesamte Familie verloren hat, bevor sie den Herzog geheiratet hat.«
Frau Prusts Miene hellte sich auf. Es war der helle Schein einer blank polierten Messerschneide. »Was du nicht sagst.« Ihre Stimme war sirupsüß. »Wer hätte das gedacht? Ich freue mich schon darauf, die Dame wiederzusehen und ihr mein herzliches Beileid auszusprechen …«
Tiffany musste sich damit abfinden, dass sie momentan keine Zeit hatte, dieses Rätsel zu entwirren. Etwas anderes hingegen konnte nicht warten. »Äh …?«, begann sie und warf einen Blick auf die sehr, sehr große Frau, die sich hinter Frau Prust zu verstecken versuchte. Die drehte sich um und sagte: »Ach Gottchen, wo hab ich nur wieder meine Manieren gelassen? Schon gut, ich weiß, ich hab nie welche besessen. Tiffany Weh, ich möchte dir Fräulein Batist vorstellen, besser bekannt als die Lange-dünne-kurze-dicke-Sally. Fräulein Batist ist bei Mütterchen Unvermut in der Ausbildung, die du eben kurz hast vorbeiflitzen sehen. Sie hatte es sehr eilig. Sally leidet unter massiven Gezeitenbeschwerden, die Ärmste. Aber da sie den einzigen funktionstüchtigen Besen besitzt, den ich auftreiben konnte, und sie Frau Unvermut nicht allein zurücklassen wollte, musste ich beide mitbringen. Es war die Hölle, den Besen in der Waagerechten zu
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